0.2 Zur Umstrukturierung der Landwirtschaft in den jetzigen neuen Bundesländern
0.2.2 Verantwortlichkeit und Konsequenzen agrarstruktureller Fehlentwicklungen im Beitrittsgebiet:
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0.2.1 Wie viel Rechtsstaat verträgt die Agrarstrukturanspassung?

Die Wissenschaft hat es mit dem „Abschlussbericht des DFG-Forschungsprojekts" der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich Schiller Universität Jena bestätigt, dass die Rekonstruierung der Landwirtschaftlichen Unternehmen in den neuen Bundesländern flächendeckend, vom Erzgebirge bis zur Ostsee, am Rechtsstaat vorbei erfolgte. Mit den Teilungen, Zusammenschlüssen und Umwandlungen der LPGn (gleiches gilt für Gärtnerische Produktionsgenossenschaften und Kooperative Einrichtungen) wurde in nicht wenigen Fällen DDR-Unrecht nach LPG-Gesetz in neuer „umgewandelter" Form in einem Umfang fortgesetzt, dass den ländlichen Raum auf Dauer schweren Schaden zugefügt hat. Das in der DDR mit dem LPG-Gesetz dem ländlichen Raum zugefügte Unrecht wurde nicht grundlegend beseitigt, so dass sich dauerhafte Schäden deutlich unverkennbar gefestigt haben.

 

I. Die Vorgeschichte:

Das LPG-Gesetz vom 03.06.1959 bestimmt im § 8 Abs. 1 „An den Boden, der durch die Mitglieder eingebracht wird, erhält die LPG volles Nutzungsrecht." Dieses Nutzungsrecht erfasste auch die Wirtschaftsgebäude, sofern und so lang die LPG diese nutzen wollte.

Nach dem LPG-Musterstatut von 1977 arbeiteten die LPGn „nach dem Prinzip des leninchen Genossenschaftsplans". Ferner war der Genossenschaftsbauer nach Ziffer 13 Abs. 4 des Musterstatuts verpflichtet, seinen Boden für die genossenschaftliche Nutzung zur Verfügung zu stellen und dafür Pflichtinventarbeitrag zu leisten. Wirtschaftsgebäude, die für die genossenschaftliche Nutzung erforderlich sind, werden durch Vertrag bei Übernahme der Werterhaltung sowie der Steueranteile und Versicherungsbeiträge von der Genossenschaft übernommen."

In Ziffer 15 des LPG-Musterstatus vom 30.04.1959 war festgelegt, „Das dem Mitglied gehörende, in die Genossenschaft eingebrachte Inventar, die Wirtschaftsgebäude sowie der Waldbestand werden mit Bestätigung des Übernahmeprotokolls durch die Mitgliederversammlung genossenschaftliches Eigentum."

Der pro Hektar zu bringende Inventarbeitrag und Fondsbeitrag wurde von der Mitgliederversammlung bzw. dem Vorstand oder dem Rat des Kreises festgelegt und lag zwischen 500 bis 4.000 Mark/ha und ist von 1960 bis 1974 auch im Zuge der Agrarpreisreform der DDR entsprechend gestiegen.

Nach dem Statut der LPG Typ III von 1959 war unter III. 12 + 13 estgelegt:

 

1. „Jedes Mitglied übergibt der Genossenschaft bei seinem Eintritt zur allgemeinen Nutzung a) Traktoren, Maschinen, Geräte und

Wirtschaftsgebäude, die für die genossenschaftliche Produktion geeignet sind und vom Mitglied nicht zur Führung der persönlichen Hauswirtschaft benötig werden. b) Das Vieh, soweit es nicht nach den Bestimmungen über die persönliche Hauswirtschaft im Eigentum des Mitgliedes verbleibt und c) seinen Waldbestand und langjährige Kulturen wie Obstgehölze, Hopfenanlagen, Rebpflanzungen usw.

 

2. Außerdem sind Saatgut für die erste Aussaat, Futtermittel bis zur neuen Ernte und organische Düngemittel entsprechend der Größe des eingebrachten Bodens nach von der Mitgliederversammlung festgelegter Norm der Genossenschaft unentgeltlich zur allgemeinen Nutzung zu übergeben.

 

3. Saatgut und Futtermittel, die von den Mitgliedern eingebracht sind, gehen in den genossenschaftlichen Saatgut- und Futtermittelfonds ein. In der darauf folgenden Zeit werden entsprechend dem Bedarf des Saatgut- und des Futtermittelfonds aus der Ernte der Genossenschaft erneuert.

 

4. Mineralische Düngemittel, die in die Genossenschaft eingebracht werden oder für die kommende Ernte schon auf den eingebrachten Flächen gestreut sind, werden zum Einkaufspreis erstattet oder auf den Inventarbeitrag angerechnet.

 

5. Die Auswahl und die Bewertung des von den Mitgliedern zur genossenschaftlichen Nutzung eingebrachten toten und lebenden Inventars der Wirtschaftsgebäude, der Wirtschaftsvorräte und des Waldbestandes erfolgen durch eine von der Mitgliederversammlung für diese Zwecke gewählte Kommission."

 

Die Folge war, dass den rund 600.000 Bauernhöfe zwischen Erzgebirge und Ostsee mit der Gründung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften das Nutzungsrecht am Grund und Boden sowie den Gebäuden entzogen wurden und das lebende und tote Inventar – Feldinventar und zum Teil auch eingebrachte Wirtschaftsgebäude – eigentumsrechtlich in das Vermögen der LPG übergegangen sind.

Während der Grund und Boden und in der Regel auch die Wirtschaftsgebäude, soweit diese nicht in die LPG eingebracht wurden, im Grundbuch Eigentum der Bauern blieben, wurde das Nutzungsrecht entzogen. Die LPG hatte das allumfassende Nutzungsrecht.

Das lebende und tote Inventar erging auch eigentumsrechtlich dem Bauern entschädigungslos verloren. Ohne den Entzug des Nutzungsrechts zu Gunsten der LPG und insbesondere auch nicht ohne den Eigentumsentzug bezüglich des lebenden und toten Inventars, wäre die Gründung von LPGn nicht denkbar gewesen.

Hunderttausende Bauernhöfe, Millionen Wirtschaftsgebäude wurden so, im Laufe der Jahre des Aufbaus der LPGn, regelrecht leergeräumt.

Dem ländlichen Kulturraum wurde damit schwerster Schaden zugefügt. Millionen Wirtschaftsgebäude stehen seit Jahrzehnten leer, ungenutzt und sind in den meisten Fällen auch nicht mehr wirtschaftlich nutzbar.

 

II. Die Wende:

Als es in 1989 nach der friedlichen Revolution und dem politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenbruchs der DDR zu einem Neuanfang kommen sollte, verabschiedete noch die Volkskammer der DDR zunächst im März 1990 eine Änderung des LPG-Gesetzes (LPGG), wonach die Inventarbeiträge rückzahlbar wurden, das allumfassende Nutzungsrecht am Grund und Boden nach § 8 LPGG 1959 und § 18 LPGG 1982 jedoch fortbestand.

Das Recht auf Rückforderung des Inventarbeitrages und der gleichgestellten Leistungen - Wert an lebenden und toten Inventar und Fondsausgleich, so wie die Rückforderung des Nutzungsrechts an den Gebäuden – soweit von der LPG genutzt - und Grund und Boden wurde von der Volkskammer der DDR mit dem Landwirtschaftsanpassungsgesetz (LwAnpG) vom 20.07.1990 geschaffen.

Neben der Teilung und dem Zusammenschluss von LPGn war danach auch die Umwandlung und Auflösung dieser ermöglicht. Auch ist dort bereits deutlich auf den Gläubigerschutz (§ 12) und die Sorgfaltspflicht (§ 39) des Vorstands der LPG verwiesen.

 

Mit der 1. Novelle zum LwAnpG nach der Wiedervereinigung wurde durch die Bundesregierung am 03.07.1991 verschiedene Vorschriften des LwAnpG, das mit Einigungsvertrag (EV) Anlage II, Kapitel VI von der DDR übernommen worden war, präzisiert. Auch ist im LwAnpG 1990 bereits festgelegt, dass das LPG-Gesetz sowie die Musterstatuten mit Wirkung vom 01.01.1992 außer Kraft treten [1] (§ 69).

So gab es nun nach dem LwAnpG a.F. von 1990 und neuer Fassung von 1991 verschiedene Möglichkeiten und ausreichend unterschiedliche rechtliche Grundlagen zur Umstrukturierung der Landwirtschaft in den neuen Bundesländern.

 

Übersicht 1:

 

1) §§ 4 - 12 LwAnpG a.u.n.F . - Teilung

LPG (T) oder/und LPG (P) im Territorium;

Teilungsplan §§ 5, 7, 8 LwAnpG, e. G. /GmbH/KG/AG 

 

2) §§ 14 – 21 LwAnpG a.u.n.F. - Zusammenschluss

LPG (P) (Übertragende): Übertragung §§ 7, 8, 9, 15, 16, 18 LwAnpG;

LPG (T) (Übernehmende) = LPG (T) mit (P) danach

Teilung oder Umwandlung §§ 4, 22, 23, 25 LwAnpG

 

3) § 22 LwAnpG Teilung und Zusammenschluss

§ 14 LwAnpG, §§ 22 (3), 23 ff n. F., § 27 ff. a.F. LwAnpG

LPG (T) LPG (P),  e. G. Entstehung durch Teilung und

Zusammenschluss

 

4) §§ 23 - 40 Formwechsel durch Umwandlung

§§ 25, 8, 28, 29 LwAnpG

LPG (T), (P) oder (T + P) in e. G. , KG, GmbH oder AG

 

5) Auflösung durch Liquidation §§ 41, 42 LwAnpG

 

6) Existenzgründung privater Bauern – Wiedereinrichter, §§ 1, 2, 3 LwAnpG.

Mit Rücknahme des Bodens, des Nutzungsrechts aus der LPG, Rückforderungen der Ansprüche nach § 44 LwAnpG des Inventarbeitrages und gleichgestellter Leistungen, Verzinsung und Bodennutzungsvergütung für die meist jahrzehntelange unentgeltliche Nutzung dieser Werte durch die LPG wurde die Existenzgründung landwirtschaftlicher Unternehmer ermöglicht.

Da die Eigentumsflächen, auch die der Wiedereinrichter, i.d.R. keine ausreichende Existenzgrundlage bilden, haben diese privaten Bauern heute ganz überwiegend Pachtflächen in Bewirtschaftung.

 

Aus der vorstehenden Übersicht und dem eindeutigen Wortlaut der gesetzlichen Bestimmungen geht hervor, dass die Umstrukturierung der LPG-Wirtschaften durchaus in dem verhältnismäßig kurzen zur Verfügung stehenden Zeitraum bis zum 31.12.1991 hätte bewältigt werden können. Einige wenige haben dies ja auch geschafft, haben sich von Anfang an um eine offene, ehrliche Umstrukturierung bemüht, die mit den gesetzlichen Vorschriften im Einklang stand.

 

An rechtlichen Grundlagen hat es mit Sicherheit nicht gefehlt. Mit dem Staatsvertrag zur Wirtschafts- und Währungsunion vom 18.05.1990, dort vor allem Artikel 1, Artikel 6 sowie Artikel 10 und 15, mit dem Einigungsvertrag (EV)vom 31.08.1990, mit dem DM-Bilanzgesetz vom 23.09.1990, dem LwAnpG vom 20. bzw. 29.06.1990 und der 1. größeren Novelle im Juli 1991, dem HGB, dem Genossenschaftsgesetz, dem GmbH-Gesetz und Aktiengesetz und der bereits aus der älteren Rechtsprechung der Bundesrepublik, der danach vorliegenden Rechtsgrundlagen, musste man davon ausgehen können, dass die Umstrukturierung gesetzeskonform, unter Berücksichtigung des Gläubigerschutzes und dem Schutz der Mitgliedschaftsrechte, möglich ist. Zumal die LPGs von Anfang an nahezu ausnahmslos rechtlich beraten waren.

 

Dabei sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die Volkseigenen Betriebe/ Volkseigenen Güter nach Treuhandgesetz und deren Richtlinien umstrukturiert wurden, währen die Landwirtschaftlichen und Gärtnerischen Produktionsgenossenschaften nach dem LwAnpG umzustrukturieren waren, da das LPG-Vermögen den Mitglieder/den Genossen gehört und kein Volkseigenes Vermögen darstellte und die Vermögenseigner/LPG-Mitglieder selbst in der Lage seien, ihre Rechte wahrzunehmen, über ihre Zukunft zu entscheiden und diese Chance auch nutzen.

 

Die Tatsache, dass die Menschen in der DDR 40 Jahre, also mehr als 1 Generation, in der sozialistischen Kommandowirtschaft nie gelernt hatten ihr eigenes Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, Entscheidungen zu treffen, abzuwägen, Entscheidungsfindung demokratisch einzuüben, eigene Willensstärke einzubringen und so die Chance die Freiheit zu nutzen, ermöglichte es den DDR-LPG-Unrechtssystemträgern, das LPG-Unrecht, gekennzeichnet durch Verletzung des grundrechtlich geschützten Eigentums, Verletzung der Menschenrechte, der Menschenwürde, Unterbindung der Entscheidungsfreiheit, insbesondere durch Einschüchterung fortzusetzen und eine gesetzeskonforme Umstrukturierung zu verhindern.

7)   Selbst ein ehemaliger Landwirtschaftsminister musste im Sächsischen Landtag 1993 mitteilen, dass rund 1/3 der Rechtsnachfolger gescheitert sind. Sächsischer Landtag, Drucksache 3/6710, Februar 2003, 77. Sitzung.

Die zahlreichen Fälle gescheiterter Rechtsnachfolge könnten eine Chance für die privaten unternehmerischen Bauern sein. Doch die rechtswidrige staatliche Förderung trotz fehlgeschlagener Rechtsnachfolge unterbindet diese Chance einer besseren, positiven Entwicklung im ländlichen Raum.(hierzu auch Kapitel 7.4)

III. Ein vorläufiges Zwischenergebnis:

Der Abschlussbericht des DFG-Forschungsprojekts dokumentiert eindrucksvoll, wie viel DDR-LPG-Unrecht auch 13 Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR und dem Beitritt der neuen Bundesländer zum Geltungsbereich des Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und damit der Europäischen Union noch immer praktiziert wird.

Und da seitens des Staates, der Legislativen, der Exekutiven und der Judikativen, niemand in Sicht ist, der bereit oder in der Lage wäre, die erforderlichen Konsequenzen daraus zu fordern, geschweige denn in die Praxis umzusetzen, werden die Folgen des DDR-LPG-Unrechts weiterhin fort bestehen, mit allen Konsequenzen für die Wirtschaft und die Gesellschaft – nicht nur in den neuen Bundesländern, hier aber mit ganz besonders dramatischen Konsequenzen.

hierzu auch Kapitel 7.3; 22.1

[1] RdL 9/2002, 8/2003, 4/2003

 

Weitere Literaturquellenhinweise:

1.  Sächsisches Verwaltungsblatt 1/1999 (SächsVBl.)

SächsVerf Art. 59 Abs. 1 Satz 2, Art. 82 Abs. 1 Satz 1, Art. 83 Abs. 1 und Abs. 2 (sachliche Zuständigkeit; Gesetzesvorbehalt; „Übergangsbonus“)

1.      Die Begründung der sachlichen Zuständigkeit von Behörden der staatlichen Landesverwaltung des Freistaats Sachsen ist nur durch eine Regelung in einem Gesetz möglich, das dem Gesetzesvorbehalt nach Art. 83 Abs. 1 Satz 1 Sächsische Verfassung genügt. Demgemäß kann die Staatsregierung des Freistaats Sachsen diese Zuständigkeit nicht aufgrund der ihr in Art. 83 Abs. 2 Sächsische Verfassung eingeräumten Organisationskompetenz zur Verwaltungsorganisation regeln.

2.      Im Bereich der Landwirtschaftsverwaltung gibt es derzeit im Freistaat Sachen keine dem Gesetzesvorbehalt nach Art. 83 Abs. 1 Satz 1 Sächsische Verfassung entsprechende Regelung über die sachliche Zuständigkeit von Behörden, jedenfalls sowie die Erteilung oder Rücknahme von Extensivierungsprämien der landwirtschaftlichen Erzeugung in Rede steht. 

SächsOVG, Urt. 24.9.1998 – 3 S 3/96; I. VG Leipzig

Hier wurde entschieden in einer Sache betreffs Extensivierungsprämie der landwirtschaftlichen Erzeugung.  Art. 83 Abs. 1 der Sächsischen Verfassung gilt jedoch grundsätzlich für alle Fördermaßnahmen.

2.   Sächsisches Verwaltungsblatt  Heft 5/2002, dort Schneckenburger „Braucht Sachsen ein Landesverwaltungszuständigkeitsgesetz“

3.   Sächsisches Verwaltungsblatt  Heft 12/2001, SächsOVG, Beschluss vom 25.05.2001 – 2 B 56/01 zu Art. 83 Abs. 1 der Sächsischen Verfassung

4.  Landes- und Kommunalverwaltung (LKV) Heft 7/2003, Sporner, zur Zulässigkeit der Rechtsaufsicht durch das Landratsamt

5.   Landes- und Kommunalverwaltung (LKV) Heft 5/1999, Stelkens, zur Frage der persönlichen Verantwortlichkeit der Bediensteten für fehlerhafte Vergabe und Zuwendungen in den neuen Bundesländern 

0.2 Zur Umstrukturierung der Landwirtschaft in den jetzigen neuen Bundesländern
0.2.2 Verantwortlichkeit und Konsequenzen agrarstruktureller Fehlentwicklungen im Beitrittsgebiet: