0.2.5 Unsere Agrarstruktur und die Wissenschaft
0.2 Zur Umstrukturierung der Landwirtschaft in den jetzigen neuen Bundesländern
0.2.7 Wiedervereinigung ohne Grundrechte
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0.2.6 Ein wissenschaftliches Gutachten 50 Jahre nach der Zwangskollektivierung

(RdL 13/2010) 

Vorbemerkung 

Ein vom wissenschaftlichen Beirat des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz im Mai 2010 vorgelegtes Gutachten setzt sich mit den möglichen und nötigen Zielen der Weiterentwicklung der gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) nach 2013 auseinander.

Die bis heute im Beitrittsgebiet noch immer beträchtlich nachwirkenden Folgen der dortigen Agrarstrukturpolitik, die in der Zwangskollektivierung von 1960 ihren traurigen Höhepunkt hatte, der nur noch durch die industrielle Spezialisierung der Agrargroßbetriebe in Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) Tierproduktion (T) und Pflanzenproduktion (P)  in 1974 gedopt wurde und die Bauerndörfer, den ländlichen Raum, die Heimat der Menschen so wie ihre über Generationen geschaffene Existenz zerstörten.

Letzterer Problembereich wird im Gutachten nicht erwähnt.

Doch wer nicht weis woher er kommt, weis nicht wohin er geht. - Goethe. 

Die fundamentalen Einschnitte in die Agrarstruktur und den ländlichen Raum im heutigen Beitrittsgebiet, der ehemaligen sowjetisch besetzten Zone (SBZ) und ab 1949 bis 1990 DDR, haben auch heute noch vom Erzgebirge bis zur Ostsee Bestand  und werden noch Generationen fortwirken.

In 1989 war die DDR auf allen Ebenen am Ende, abgewirtschaftet, pleite. Wirtschaftlich war das Land überschuldet, die Mangelwirtschaft nicht nur an Konsumgütern, sondern besonders auch an Betriebs- und Produktionsmitteln hatte ein Ausmaß erreicht, dass das Ende des Systems nicht aufzuhalten war.

Poltisch hatte sich die DDR-Regierung als unfähig erwiesen, war in der eigenen kommunistisch, atheistischen Ideologie gefangen, eingemauert.

Gesellschaftlich war das Land, waren die Menschen von der Staatssicherheit (Stasi) durchsetzt. Die Angst vor polischen Gefängnissen, von denen es reichlich gab, von dortigen Qualen, Misshandlungen und Opfern ließ die Menschen nicht los. Das damit zerstörte und bis heute noch vielerorts fehlende Vertrauen wirkt nachhaltig fort.

Enteignungen, Zwangskollektivierung, Stasi haben viele Menschen traumatisiert, was oft bis heute tiefe Nachwirkungen zeigt.

Die Hoffnung war 1990 bei allen Menschen groß, vor allem bei den Opfern des kommunistisch atheistischen Unrechts. Ein Wirtschaftswunder-Ost wurde von vielen erwartet, obgleich die Rahmenbedingungen nicht stimmten. Freiheit ja, Unternehmer, Eigentumsrechte nein. Die DDR-Mentalität blieb, die einstigen Leitungskader und DDR-Unrechtsentscheidungsträger hatten sich bald in gewandelter Form, in Netzwerken, gut eingerichtet und verfügen nun seit 20 Jahren Jahr für Jahr über viele Milliarden Fördermittel - Aufbau Ost.

Für die Landwirtschaft ist seit 1990 das Landwirtschaftsanpassungsgesetz  (LwAnpG) die Rechtsgrundlage, wonach sich die Agrarstruktur ändern konnte.

Die LPG Betriebe konnten sich teilen, zusammenschließen und in neue Rechtsformen umwandeln. Private Bauern konnten ihren Betrieb wieder einrichten. Vor allem aufgrund fehlender beruflicher Erfahrungen verlief die Wiedereinrichtung oder Existenzgründung landwirtschaftlicher Familienbetriebe zurückhaltend. Möglich ist dies aber zumindest theoretisch auch heute und in Zukunft noch. Das Hauptproblem, das sich dabei ergibt, ist die landwirtschaftlich genutzte Fläche, die überwiegend an die LPG-Nachfolgeunternehmen verpachtet ist.

Zurzeit wird im Beitrittsgebiet noch rund 50 % der landwirtschaftlichen Fläche  von den LPG-Betrieben bewirtschaftet.

Die Agrarpolitik der Bundesregierung hat ab 1991  u. a.  mit der auch von der EU genehmigten Anpassungshilfeverordnung die landwirtschaftlichen Betriebe und ihre Nachfolger ganz ordentlich finanziell gefördert. Hinzu kam die Förderung im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik mit ihren Reformen in 1992, 1999 und 2003 und zahlreiche weitere Subventionsmilliarden. Diese ganz beachtlichen Finanzhilfen haben sich selbst dort in all jenen Fällen bis heute fortgesetzt, wo die Fördervoraussetzungen nach den jeweils maßgebenden Förderrichtlinien nie erfüllt waren. Diese waren schon in der Anpassungshilfeverordnung ab 1992 u. a. die rechtswirksame Gesamtrechtsnachfolge und eine dem Gesetz (LwAnpG) entsprechenden korrekten Vermögensauseinandersetzung mit den einst zwangskollektivierten LPG-Bauern. Beide Förderbedingungen sind erfahrungsgemäß, wie hunderte Verfahren bei den Landwirtschaftsgerichten und Registerverfahren beweisen, nicht erfüllt. Das dennoch jährlich viele hunderttausend oft über 1 Million DM/€ an diese rund 2.000 Nachfolgebetriebe seit 1992 in der Rechtsform der e.G./ GmbH/ AG/ KG ausgezahlt wurden, verstößt nicht nur gegen das Subventionsrecht, sondern  auch die Haushaltsordnung der Länder und des Bundes sowie der EU. Schließlich ist mit den Haushaltsmitteln verantwortungsbewusst, sparsam, gesetzeskonform umzugehen.  

Diese sich daraus ergebenden notwendigen Konsequenzen lässt die Wissenschaft, die bis auf wenige Ausnahmen dieses Unrecht auch seither nicht zur Kenntnis nehmen wollte, nun auch im vorliegenden Gutachten unbeachtet.

Dabei ist, wie die Agrarberichte des Bundes und der Länder und die dort ebenso vorliegenden Testbetriebsbuchführungsergebnisse dokumentieren,  nachgewiesen, wie die angeblich so vorbildlichen großen Agrarkapitalgesellschaften in ihrer ganz überwiegenden Mehrzahl permanent am Rande der Insolvenz wirtschaften, trotz weit überproportionaler finanzieller Förderung und weiterer Privilegien, wie äußerst günstiger Pacht der einst volkseigenen Flächen von der BVVG und begünstigtem Landerwerb sowie Altschuldenerlass. 

Europäische Praxis:

Da hatte die EU-Kommission schon vor 3 Jahren einen Vorschlag unterbreitet, wonach die EU-Direktzahlungen auf 300.000 € je Betrieb als Obergrenze eingeschränkt werden soll. Betroffen wären davon vor allem die mehr als 1.600 der in Ostdeutschland ansässigen Großbetriebe.

Der Deutsche Raiffeisenverband so wie 5 seiner Mitgliedsverbände haben seinerzeit in einer gemeinsamen Erklärung eine Sonderpublikation veröffentlicht  und dargelegt, dass bei einer solchen Begrenzung auf 300.000 € pro Betrieb/Jahr die Mehrzahl der LPG Betriebe nicht mehr überlebensfähig sind und ihre Insolvenz bevorsteht.

Bestätigt wird dies auch in einer neuesten Untersuchung, die das Landbauökonomische Institut (LEI) der Universität Wageningen im Auftrag des Britischen Landwirtschaftsministeriums durchgeführt hat.

Tatsächlich würden dadurch die Mehrzahl der Großbetriebe in die roten Zahlen kommen - sofern sie vorher noch schwarze Zahlen geschrieben haben sollten.

Damit wird bestätigt, was durch die Agrarberichte bzw. Testbetriebsbuchführungsergebnisse seit vielen Jahren bekannt ist und durch die Publikationspflicht der Direktzahlungen, so wie der Bilanzen ebenso bei Einblick in die einzelnen Unternehmen bekannt wird.  

Bewiesen ist damit in jedem Fall auch betriebswirtschaftlich, das es auf die Größe, die Hektarzahl, die Größe des Tierbestandes allein keineswegs ankommt und die dadurch mögliche Kostendegression durch diverse Nachteile, die die Größe eines solchen gewerblichen Agrargroßbetriebes mit sich bringt, nicht angleichen kann.

Schon allein die Tatsache, dass die LPG-Betriebe im Beitrittsgebiet ihre Flächen von 1.000 ha/ 2.000 ha oder mehr über oft mehr als 10 Gemeinden verteilet bewirtschaften, ergeben sich ganz erhebliche Transportaufwendungen und weitere Bewirtschaftungsnachteile. Die großen Flächen sind zudem einer gefährlichen Winde- und Wassererosion ausgesetzt, die die Bodenfruchtbarkeit gravierend nachteilig beeinflusst. Das Management, die jeweils termingerechte von Boden- und Witterung abhängige Landbewirtschaftung bringt bei diesen Flurgrößen oft erhebliche Nachteile. Wechselnde Boden- und Feuchtigkeitsverhältnisse, Geländeneigungen erschweren die Bewirtschaftung. Bei großen Viehbeständen ist der Gesundheitszustand ein erhebliches Problem. Bei Milchviehhaltung sind häufig weniger als 2 Laktationen festzustellen.

All diese Nachteile werden von der möglichen Kostendegression auch bei modernster und teuerster Technik nicht aufgewogen.  

Und was sagt die Wissenschaft

Diese Erkenntnisse sollten 50 Jahre nach der Zwangskollektivierung und 20 Jahre nach der so genannten friedlichen Revolution und dem Beitritt zum Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland die LPG Großbetriebe nüchtern akzeptieren und zumindest die Wissenschaft herausarbeiten, wenn sie in ihrem Gutachten die Ziele einer neu konzipierten Agrarpolitik in einem neuen Leitbild darstellen will.

Der wissenschaftliche Beirat  fordert in seinem Gutachten  eine Strategie aus einem Guss. Ressortübergreifende Verluste - Raumordnung, Landwirtschaft, Wirtschaft, Natur- und Landschaftsschutz, Verbraucherschutz, Verkehr usw. - sind zu meiden.

Der 2. Säule wird zunehmende Bedeutung beigemessen und soll erheblich aufgestockt werden. Neben gezielter Agrarstrukturpolitik und Entwicklung des ländlichen Raumes ist die Umweltpolitik, Natur- und Landschaftsschutz,  Tierschutzpolitik, Energiepolitik zunehmend zu beachten.  Besonders erwähnt wird auch die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern, so wie die Frage von Aktionsplänen auf allen Politikfeldern - EU, Bund, Länder. 

Es kann nicht sehr wirksam sein, wie der Beirat feststellt, wenn die Politik zwar Fördermöglichkeiten offeriert, Unternehmen und Kommunen aber jeweils selbst entscheiden über mögliche Mitwirkung und Maßnahmen der 2. Säule.  

Zuversichtlich ist der Beirat in seinem Gutachten hinsichtlich der Entwicklung der Agrarpreise aufgrund zu erwartender Nachfragezuwächse durch Bevölkerungswachstum, Kaufkraftwachstum, Bedarf an Rohstoffen für Energiegewinnung und Industriegrundstoffe.  

Während die Direktzahlungen vollständig aus dem EU-Haushalt finanziert werden, werden die Maßnahmen der 2. Säule nicht vollständig finanziert, sondern erfordern immer eine Teilmitfinanzierung vom Land vor Ort.

Direktzahlungen sollten nach wissenschaftlichen Erkenntnissen bis 2020 eingestellt werden.

Aufgrund der Globalisierung und Öffnung der Weltmärkte innerhalb der WTO-Runde ist zu erwarten, dass der Importschutz ebenso weitgehend abgebaut werden muss, wie auch die Exportsubventionen. Bekanntlich betrifft dies vorwiegend Zucker, Milch und Rindfleisch, während die Märkte anderer Produkte, wie Schweinefleisch, Ölsaaten, Getreide im Wesentlichen liberalisiert sind.  

Ganz vorn wird unverändert die Lebensmittelwirtschaft, die Lebensmittelqualität bleiben. Erforderliche Sicherungs- und Kontrollsysteme werden ausgebaut.  

Die Frage der Co-Finanzierung der 2. Säule Maßnahmen ist mit abhängig von ihrer optimalen Ausgestaltung.

Lebensmittelsicherheit und Lebensmittelqualität hat danach Vorrang vor Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit regionaler Wertschöpfungsketten bzw. unterliegt in diesem Rahmen bedeutender Aufmerksamkeit.

Dies gilt sowohl für Inlandsprodukte als auch für Importe. 

Als Ziel gibt der Beirat vor, die Wettbewerbsfähigkeit der Deutschen Landwirtschaft. Dazu stellt er fest, das hierfür flächendeckende Direktzahlungen auf Dauer nicht erforderlich sind, sondern ein Instrument der Stützung der Landwirtschaft durch Ausgleichszahlungen, insbesondere im Rahmen der 2. Säule-Maßnahmen.  

Wiederholt befürwortet der wissenschaftliche Beirat die alsbaldige schrittweise Reduzierung der Direktzahlungen, da hier ein finanzieller Ausgleich durch niedrigere Pacht möglich sei, nachdem die Direktzahlungen angeblich zunehmend auf die Pacht übertragen würde und dadurch nur die Grundrenten bei den Bodeneigentümern, sprich Verpächtern, steigen.

Das dies hier in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle an der Sache vorbeigeht, hat die Wissenschaft offensichtlich nicht erkannt, denn erfahrungsgemäß waren bisher die Pachtzahlungen im Beitrittsgebiet bei den großen LPG-Nachfolgeunternehmen äußerst niedrig und lagen im Schnitt nicht nennenswert über 100 €/ha im Jahr - oft darunter.

Geradezu polemisch äußert sich der Beirat über die Fortexistenz kleiner Handtuchflächen.

Der Eindruck vom Traum des Ostdeutschen Agrargroßbetriebes sitzt offensichtlich tief und lässt durchaus berechtigte Zweifel aufkommen, ob die Wissenschaft die Realitäten je erfassen will.

Das gerade auch kleinere und mittlere Bio- und Selbstvermarkterbetriebe trotz der bescheidenen Direktzahlungen trotz geringer Hektarflächen ganz gut über die Runden kommen und erfolgreich ihre Rolle als Unternehmer spielen, wird im Gutachten leider völlig ignoriert.

Gerade dieser Bereich könnte oder müsste zumindest in der 2. Säule künftig stärker gefördert werden.  

Weshalb der Zeitraum bis 2013, also 3 Jahre, zu eng sein soll um eine neue Konzeption der Agrarförderung auf den Weg zu bringen und dabei ab 2014 durch Einführung einer Freigrenze von z. B. 30.000 € nicht realisierbar sein soll, um damit kleinere und mittelgroße Familienbetriebe und damit das Dorfleben und den ländlichen Raum zu stärken, andererseits eine Obergrenze vielleicht von zunächst von 500.000 €/ 300.000 € um dann schrittweise zu reduzieren, bleibt offen, müsste dem Vorschlag des wissenschaftlichen Beirates zur vollständigen Abschaffung der Direktzahlungen bis zum Jahr 2020 durchaus entgegenkommen.  Oberhalb der Freigrenze(30.000 €) bis zur Obergrenze (300.000€) könnte sodann eine gestaffelte progressive Kürzung realisiert werden, die bis 2020 schrittweise erhöht werden sollte.

Je nach Entwicklung der dörflichen Regionen, des ländlichen Raumes, könnte sodann, wenn die kleineren und mittelgroßen aber auch etwas größere Familienbetriebe den ländlichen Raum wieder entscheidend prägen,  über die endgültige Umgestaltung der Direktzahlungen oberhalb der Freigrenze und in der 2. Säule entschieden werden.

Bewirtschaften die industriemäßigen LPG-Nachfolgegroßbetriebe zurzeit noch etwa 50 % der landwirtschaftlich genutzten Fläche mit ohnehin abnehmender Tendenz, kann dies durch eine entsprechende Gestaltung der Direktzahlungen begleitet und tragfähig umstrukturiert werden.

Der ländliche Raum würde dadurch in jedem Fall ganz erheblich gewinnen.

Die Entwicklung der ländlichen Räume würde im Beitrittsgebiet in seiner negativen Entwicklung gebremst und könnte eine positive Entwicklung nehmen. 

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