7.9 Bilanzen der LPG-Kapitalgesellschaften
7. Agrarberichte, Agrarstruktur
7.11 Die gewachsenen Agrarstrukturen
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7.10 Ländlicher Raum auf roter Liste

Unter diesem Titel hat die Deutsche Landeskulturgesellschaft einen beeindruckenden Überblick vermittelt zur Entwicklung der ländlichen Räume (Sonderheft 1/2006, ISSN: 1614-5242).

Unmissverständlich wird dort auch dargestellt, welche Unterschiede in der Entwicklung und ihren Problemfeldern zwischen Ost und West (Beitrittsgebiet und Altländer) bestehen und welche Ursachen hierfür verantwortlich sind. Die LPG-Unternehmen in unterschiedlicher Rechtsform (Genossenschaft, GmbH, Aktiengesellschaft, Kommanditgesellschaft) sind in der Konsequenz danach ein wesentliches Übel, das für den weiteren Niedergang der Bevölkerung der ländlichen Räume Ost verantwortlich ist. 

Ganz ähnlich hat dies auch Meyer-Renschhausen  in einem Beitrag in der Zeitschrift für Sozialökonomie, Folge 148 April 2006, offen gelegt. 

Vor allem die Symptome des Krankheitsbildes der ländlichen Räume und ihrer Entwicklung werden dabei verdeutlicht.  Unerwähnt bleiben jedoch meist die Ursachen, die für die Symptome verantwortlich sind.  

Hat in der Bundesrepublik-West Mitte der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts, 10 Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges, mit dem wirtschaftlichen Aufschwung der Agrarstrukturwandel eingesetzt und seit dem nicht mehr aufgehört, so verlief aber doch je nach jeweiliger Konjunkturlage die Entwicklung zeitweise langsamer, dann auch wieder sehr rasch, wenn bei Hochkonjunktur die außerlandwirtschaftlichen Verdienstmöglichkeiten besonders stiegen, außerlandwirtschaftliche Arbeitskräfte in allen Bereichen gesucht wurden und die Hofnachfolger einen nichtlandwirtschaftlichen Beruf erlernt oder studiert hatten, den Hof vielleicht noch im Nebenerwerb fortführten oder vor allem in Dorflage gut verkaufen konnten. 

Arm geworden ist dabei kaum einer, zumal bis in den 80er Jahren Betriebe mit großen fremdfinanzierten Investitionen kaum aufgegeben wurden oder frühere Darlehen in der Regel getilgt waren. 

Nachdem auch im Grunde noch funktionierende Haupterwerbsbetriebe aufgegeben werden, sei es mangels Hofnachfolger oder aus wirtschaftlichen Gründen, ist der Strukturwandel zumindest in solchen Fällen auch hier härter geworden, wenngleich die Preisverhältnisse und möglichen Erlöse bei Hofaufgabe die größten Härten erträglicher gestaltet. 

Anders dagegen die Entwicklung in der sowjetisch besetzten Zone (SBZ) und der daran anschließenden DDR.

Nach tausendfacher Enteignung ab 1945 vollzog sich der Agrarstrukturwandel dort ab 1953 auf der Grundlage des LPG-Gesetzes (Landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften).  

Zum Teil wurden Bauernhöfe aufgelöst (ÖLB - Örtliche Landwirtschaftsbetriebe), andere mit Nutzungsverträgen vom Rat des Kreises an die LPG verpachtet (Kreispachtverträge) oder schließlich die überwiegende Zahl der Bauernhöfe (rund 600.000) in den LPGs nach „Leninschen Genossenschaftsplan“ (§ 6 LPG-Gesetz, ebenso in den Musterstatuten) der kollektiven Bewirtschaftung, in der Mehrzahl 1960, übergeben (Zwangskollektivierung). 

Neben dem Boden mussten die Bauern den LPGs Inventarbeiträge in Höhe von i.d.R. 700 DM bis 3.000 DM/ha übergeben.

Ab 1974 kam es schließlich im Zuge der Industrialisierung der Landwirtschaft zur Spezialisierung der LPG Pflanzenproduktion und der LPG Tierproduktion. Rund 6.000 solche Betriebe (LPG (T) oder (P), Zwischenbetriebliche Einrichtungen (ZBO) und Gärtnerische Produktionsgenossenschaften) auf der Grundlage des LPG-Gesetzes existierten vor 20 Jahren bei Beginn der Wende. 3.000 ha bis 8.000 ha bei der (P) und 2.000 GV bei der (T) waren üblich. 

Nach Landwirtschaftsanpassungsgesetz  (LwAnpG) von 1990/91 konnten sich diese auflösen (Liquidation) oder in Gesamtrechtsnachfolge das Rechtskleid wechseln - durch Teilung, Zusammenschluss und Umwandlung. 

Private Einzelbauern oder als GbR im Haupt- oder Nebenerwerb konnten eine Existenz gründen. Die LPGs sollten nach LwAnpG ihren Mitgliedern, vor allem den Bodeneigentümern - Bauern - den anteiligen zustehenden Eigenkapitalanteil nach § 44 LwAnpG auszahlen. 

Heute wird noch rund 60 % der Fläche von LPG-Nachfolgebetrieben bewirtschaftet. Vermögensansprüche - Eigenkapitalanteil - wurden nur zu etwa 1/4  bis 1/3 zurückgezahlt. In vielen Fällen fehlt es an einer rechtwirksamen Gesamtrechtsnachfolge, da oft Vollversammlungsbeschlüsse fehlen oder die erforderliche Identität zur Gesamtrechtsnachfolge nicht beachtet wurde. 

Die einst bist 1990 mit Arbeitskräften weit überbesetzten LPGs  haben in den letzten 18 Jahren rund 80 % der Arbeitskräfte abgebaut. Wie die Agrarberichte der neuen Länder und des Bundes sowie die Situationsberichte des Deutschen Bauernverbandes in den zurückliegenden 15 Jahren dokumentieren, zehrt die Mehrzahl der LPG-Nachfolger trotz erheblicher Subventionen,  die im Durchschnitt 80 - 100 % der Personalkosten decken, mangels Rentabilität an der Substanz.  

Einst enteignetes Land können die LPG-Betriebe zum verbilligten Preis von der BVVG/BVS kaufen. Die privaten Einzelbauern haben es dagegen in der Regel sehr schwer, diese Vergünstigung in Anspruch zu nehmen.

Altschulden haben die LPG-Betriebe (Stand 1990) mangels Rentabilität (Verluste statt Gewinn) überwiegend erlassen bekommen und zwar auch dann, wenn auf der Bilanzaktivseite die mit diesen Darlehen finanzierten Gebäude nach 1990 noch viele Jahre nutzbar waren und heute noch genutzt werden. 

Wenn der ländliche Raum im Beitrittgebiet zum nicht unerheblichen Teil wüst fällt, liegt die Ursache bei der Kollektivwirtschaft nach leninschen Genossenschaftsplan, der Fortsetzung der Oktoberrevolution in abgewandelter Form auf Deutschem Boden, womit den Bauernfamilien mit dem Hof nicht nur die Existenz, sonder auch im Grunde die Heimat genommen wurde. Die Bauern waren damit rechtlos, von Angst vor der Stasi geplagt und zu Kollektivarbeitern degradiert - sehr viele traumatisiert. 

Wenn heute auf allen staatlichen Ebenen - Legislative, Exekutive und Judikative - in den meisten Fällen unverändert nostalgische DDR-LPG-Mentalität mit entscheidet, besteht keine Hoffnung auf Besserung der Entwicklung. Doch die Menschen sind weder dumm noch faul, ihnen sind die Ursachen geläufig, denn sie kennen schließlich die Entscheidungsträger von einst und ihre heutigen Nachfolger in ihrem Umfeld. 

Vor allem junge Menschen trauen sich auch den Sprung ins kalte Wasser zu und wandern aus, ab in den freien Westen.  

Damit verliert der ländliche Raum im Beitrittsgebiet aber gerade jene Menschen, denen  die Zukunft gehört, die diese in großer Zahl im freien Westen suchen - und finden. 

Durchschnittlich etwa 20 % der Gesamtbevölkerung Abnahme seit Mitte 1989, dabei überwiegend (rund 30 % Abnahme) der jungen Menschen dokumentieren die Konsequenzen politischer Fehlentscheidungen im Beitrittsgebiet und dem dortigen ländlichen Raum. Das System hat konkrete Ursachen! 

Die überdurchschnittlich hohe Abwanderung jüngerer Menschen, vor allem Frauen, beschleunigt dabei noch das Geburtsdefizit.

Die zurückbleibende Altbausubstanz und Anlagen (Wasser, Energie, Verkehrseinrichtungen) belasten die Länder zusätzlich. Seit Jahrzehnten nicht mehr genutzte, heute und künftig nicht mehr nutzbare Gebäude der einstigen Bauernhöfe belasten ihre Eigentümer. 

Fehlendes Unrechtsbewusstsein, Fortsetzung eines erheblichen Teils des DDR-LPG-Unrechts auch nach 1990 bis heute verhindert den erforderlichen Aufbau eines unersetzbaren Vertrauens und die Aussicht auf konkrete Zukunftschancen, auch für die Opfer des DDR-LPG-Unrechts und ihrer nachfolgenden Generation.

Ohne Vertrauen, ohne  Transparenz, ohne Kontrollen keine Demokratie.

Die umfangreichen Rechtsverletzungen - nicht Umsetzung des LwAnpG, der jährlichen Subventionierung der LPG-Betriebe, obgleich rechtsunwirksam umstrukturiert und keine korrekte Vermögensauseinandersetzung, wie dies nach den Bedingungen der Förderrichtlinien erforderlich gewesen wäre, haben den Glauben an den Rechtsstaat in unverantwortbarem Umfang zerstört. 

Bei einem weiteren Bevölkerungsrückgang von 0,5 % bis 1 % pro Jahr sind im gesamten Beitrittsgebiet hiervon rund 50.000 bis 80.000 Wohnungen pro Jahr betroffen. Die Zunahme leerer Gewerberäume und öffentlicher Gebäude kommen noch hinzu.  

Abgesehen von den unrentablen Abbruchkosten und dem ohnehin fehlenden Geld hierfür, kann man gar nicht so viel abbrechen, wie jährlich an Leerstand neu hinzukommt. 

Neu ist diese Entwicklung nicht. In meinen beiden Dokumentationen 

1.      „Einigkeit und Recht und Freiheit - auch für die deutsche Landwirtschaft“

2.      „Agrarpolitische Lage der (Ost) Landwirtschaft“

habe ich u. a. schon vor Jahren auf diese Fehlentwicklungen hingewiesen - Restbestand für  a) 10,00 € sind noch zu haben.  

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