20.8 Kein Patent auf Leben!
20. Wirtschaft/Gesellschaft
20.10 Deutschland - Ost/West
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20.9 Und immer wieder Unrecht

Unrecht ohne Ende. Und dies im Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland. Flächendeckend vom Erzgebirge bis zur Ostsee kein Dorf, das vom DDR-LPG-Unrecht nicht betroffen war (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft - LPG). Nach LPG-Gesetz von 1952 stand der LPG das alleinige Nutzungsrecht am landwirtschaftlichen und gärtnerischen Boden und der Wirtschaftsgebäude zu. Obgleich das Eigentum im Grundbuch beim Bauern/Gärtner blieb, war die Entrechtung mit Entzug des Nutzungsrechts perfekt. Schrittweise kam es ab 1953 zur Gründung Landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften, zunächst meist der Typ I, bei der die Außenwirtschaft, der Ackerbau gemeinsam betrieben, während die Viehwirtschaft noch individuell geführt wurde. Maschinen-Ausleihstationen (MAS)/Maschinen-Traktoren-Stationen (MTS) besorgten zunehmend einen Teil der Außenwirtschaft. Traktoristen waren gefragt. Der ersten großen Welle der Zwangskollektivierung im Frühjahr 1960 konnte sich kein Bauer entziehen, wollte er nicht massiv Repressalien oder eine politische Inhaftierung riskieren. Rund 600.000 Bauern wurde so vom Erzgebirge bis zur Ostsee die Zwangskollektivierung aufgezwungen. Bauernlegen wie im späten Mittelalter - vor 50 Jahren auf kommunistisch in der DDR. Viele tausend Bauernfamilien verließen damals die DDR in Richtung freier Westen - täglich bis zu 3.000 Menschen sollen es in jenen Monaten gewesen sein. 

1974 schließlich der endgültige, flächendeckende Schritt zur LGP Typ III mit Konzentration von der Viehwirtschaft zur industriellen Kollektivwirtschaft. Die Produktivität der Landwirtschaft sank statistisch nachweisbar merklich ab, nachdem die Typ-I-Bauern bis dahin die Produktivität noch hochgehalten hatten. 

Bei deutlich unter 50 % lag die Produktivität der LPG-Landwirtschaft (zum Beispiel Milchleistung pro Kuh, Ertrag Doppelzentner/ ha, Umsatz je Arbeitskraft) zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs der DDR 1989 im Vergleich zur Landwirtschaft der Bundesrepublik.

Ab 1990 verbesserte sich die Produktivität beachtlich. Tierbestand, Saatgut, Düngung, Futtermittel, Technik, nahezu alles wurde auf West-Standard umgestellt. Die Soziale Marktwirtschaft, die Leistungsgesellschaft, machte es möglich. Der Arbeitskräftebesatz je 100 ha und je GV konnte auf weniger als ein Viertel im Vergleich zur Kollektivwirtschaft reduziert werden.

Reisefreiheit und Abwanderung von inzwischen seit Mitte 1989 rund 3 Mio., vor allem junge und qualifizierte Menschen, hinterlassen ihre Spuren. Leer stehende Altbausubstanzen, auch in den Dörfern der ehemaligen DDR, prägen heute das Bild. Enteignungen und Entrechtung und damit verbundene Beseitigung der Unternehmer im Zuge der Übertragung der Oktoberrevolution von der Sowjetunion auf ganz Ost-Europa, und damit auch auf die DDR, auf der Grundlage von § § 6, 18, 19, 31 des LPG-Gesetzes und der sog. Industriereform von 1972/73 haben tiefe, nicht mehr reparable, auch atheistische Spuren hinterlassen. 

Dorferneuerungsprogramme haben zwar in den letzten 15 Jahren viele Mio. DM/EUR verschlungen und eine ganze Reihe Museums-Bauerndörfer geschaffen, doch der wirtschaftliche Aufschwung lässt auf sich warten. Auch die Museums-Bauerndörfer leiden unter Abwanderung, Überalterung der Dagebliebenen und mangelnder Arbeitsproduktivität. Schließlich liegt das Bruttoinlandsprodukt, bezogen auf die Einwohnerzahl im Beitrittsgebiet, im Vergleich zu den Westländern bei nur rund 70 %. 

Ein viel zu großer Teil des seit 1990 in das Beitrittsgebiet geflossenen Kapitals wurde konsumiert und unproduktiv "verpulvert", anstatt zur Schaffung rentabler Arbeitsplätze zu investieren. 

Die Aussicht, dass sich daran etwas Grundlegendes verbessern könnte, ist gering. Denn immer noch regiert überwiegend die gleiche Mentalität, sind es überwiegend die gleichen Personen und ihre Nachfolger, die die DDR offenen Auges an die Wand gefahren haben und seit 1990 die Fäden der Entscheidungen allerorts nach wie vor in den Händen halten. Aus alten Seilschaften wurden moderne Netzwerke. 

Transparenz tut not:

Bezogen auf die Landwirtschaft haben es die LPG-Betriebe trotz Altschuldenerlass und Zinserlass von zusammen rund 7 Mrd. DM und seit nunmehr 19 Jahren jährlich vieler Mio. Subventionen nur in wenigen Ausnahmefällen (die reinen Ackerbaubetriebe auf guten Böden) geschafft, ein stabiles Unternehmen aufzubauen. Die, wenn auch viel zu geringe, Kürzung der Direktzahlungen bei den Großbetrieben bringt viele an den Rand der Existenz, obgleich diese Betriebe mit diesen Subventionen noch immer rund 80 % ihrer Personalkosten decken. Mit Landarbeiterstrukturen lassen sich eben auch in der Sozialen Marktwirtschaft keine Unternehmer ersetzen! Die Leistungsgesellschaft fordert ihre Opfer, denn schließlich müssen andere die Leistung erbringen und das Geld erwirtschaften, um Kapital als Subventionen transferieren zu können. Familienbetriebe im Haupt- und Nebenerwerb erbringen diese Opfer. Die Milchbauern trifft es doppelt. 

Die Agrarberichte, die Buchführungsergebnisse und ein Vergleich dieser Großbetriebe mit den Familienbetrieben dokumentieren jährlich dieses Unrecht beeindruckend. Die gescheiterte Vermögensauseinandersetzung nach Landwirtschaftsanpassungsgesetz (LwAnpG) dokumentiert das Unrecht auch auf dieser Ebene, denn schließlich hatten die LPG-Bauern und ihre Erben 1990 geglaubt, im Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland ganz selbstverständlich ihr Recht, d. h., das ihnen nach LPG-Gesetz entzogene, zustehende Vermögen, nun nach LwAnpG zurückzuerhalten, was man ihnen 1960/74 nach LPG-Gesetz abgenommen hatte. Nur etwa ein Viertel der tatsächlichen Ansprüche nach § 44 (1) LwAnpG haben die LPG-Betriebe (heute Genossenschaften, GmbH, KG oder AG) den Bodeneigentümern zugeordnet und ausgezahlt. Damit wurden Grundrechte (Art. 14 und 1 Grundgesetz) verletzt und die Bedingungen der Förderrichtlinien nicht erfüllt. Dennoch haben diese Großbetriebe Jahr für Jahr Millionen Fördermittel erhalten. 

Ergebnisse als Lichtblick 

Im Jahr 2008, also 19 Jahre nach dem Ende der DDR und 18 Jahre nach Inkrafttreten des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes (LwAnpG), gab es weitere solche Erfolgserlebnisse über das Landwirtschaftsgericht beim Kampf gegen die Fortsetzung des kommunistisch sozialistischen DDR-LPG-Unrechts. So erhielt ein einst zwangskollektivierter Bodeneigentümer (in Weisbach) 2008 immerhin vom OLG (Az.: Lw U 893/04) nach Jahren noch 10.000 EUR zzgl. 5 % Zins pro Jahr über den Basiszins seit Antragstellung. Zwei ältere, ehemalige LPG-Bauern hatten nach 15 Jahren(!) Gerichtsverfahren nicht mehr die Nerven, weiter zu machen. Sie wollten die Zahlung schließlich noch selbst miterleben und haben mit "ihrer" LPG/GmbH einen, wenn auch unbefriedigenden, außergerichtlichen Vergleich abgeschlossen und erhielten letztendlich statt der ihnen zustehenden rund 20.000 EUR bzw. 30.000 EUR je zzgl. Zinsen seit Antragstellung weniger als die Hälfte (Az.: 3 Lw 48/93 und 3 Lw 13/93). 

Danach haben diese beiden Anspruchsberechtigten ihre Anträge beim Landwirtschaftsgericht zurückgenommen und mussten dann auch noch Kosten tragen. 

Geradezu menschenunwürdig ist oft das Verhalten der Leiter der LPG-Betriebe gegenüber solchen Menschen. Und der Staat spielt mit.

Dabei hatten die Menschen in der DDR, dem Beitrittsgebiet, 1990 ganz selbstverständlich geglaubt, nach Einigungsvertrag, dem Grundgesetz und hier dem LwAnpG, das zu bekommen, was ihnen nach Gesetz und Recht zusteht. Nach Einigungsvertrag, dem Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik, dem Landwirtschaftsanpassungsgesetz, war nicht zu erwarten, dass die einstigen LPG-Bauern das ihnen selbstverständlich zustehende Recht erst über lange Gerichtsverfahren werden erstreiten müssen, und dieser Staat, die Legislative, die Exekutive und die Judikative, dieses Unrecht nicht nur duldet, sondern durch jährliche Fördermittelzahlungen in Millionenhöhe noch geradezu unterstützt. Die zu etwa 2/3 gescheiterte Vermögensauseinandersetzung nach LwAnpG dokumentiert auch gleichzeitig die zum erheblichen Teil gescheiterte Wiedervereinigung in der praktischen Umsetzung. 

Grundrechtsverletzung an der Tagesordnung 

Wie so oft scheuen sich die LPG-Betriebe nicht, unverändert Grundrechte (Eigentumsrechte, Menschenrechte, Menschenwürde - Artikel 1, 2, 14 GG) wie zu DDR-LPG-Zeiten zu verletzen und damit gegen unsere Werteordnung, auch gegen den Gottbezug in der Präambel unseres Grundgesetzes, zu verstoßen. 

Und der Steuerzahler darf weiter bluten und muss Jahr für Jahr Mio. Subventionen an die LPG-Betriebe sowie an "Aufbau Ost" finanzieren, ohne zu berücksichtigen, dass dieses Kapital anderenorts abfließt und dort längst fehlt. 

Ein weiteres großes Feld des Unrechts sind seit Jahren die Bodenordnungsverfahren nach § 53 LwAnpG. Dabei geht es um das Bodeneigentum, auf das die LPG bis 1990 nach DDR-Recht selbständiges LPG-Gebäudeeigentum geschaffen hat. Die hier zuständigen, staatlichen Stellen scheuen sich nicht, den Bodenwert nach Sachenrechtsbereinigungsgesetz zu halbieren, das Recht bezüglich der Mindestrestnutzungsdauer von 25 Jahren aber nicht zu beachten. Selbst Gerichte haben diese Ungleichbehandlung schon anerkannt und den Ämtern genehmigt, obgleich der Boden als nach Artikel 14 GG geschütztes Eigentum und entsprechend Flurbereinigungsgesetz, das nach LwAnpG hier zu beachten ist, nur bei öffentlichem Interesse (z. B. Straßenbau) enteignet werden darf - und auch da nur unter strengsten Bedingungen. 

Unrecht und kein Ende. Die Mentalität aus zwei Generationen Diktatur (seit 1933) sitzt tief. Auch wenn viele Menschen diese, auch rechtlichen, Zusammenhänge im Detail nicht zuordnen können, die überkommene, die andere Kultur, die alltäglichen Lebensumstände, die ihnen begegnen, sind jedoch vielen bewusst. Der Glaube an den Rechtsstaat - Ost - tendiert gegen Null. Und vor allem junge Menschen ziehen die Konsequenzen und wandern in den freien Westen ab. 

Unsere Werteordnung, Artikel 1 - 20 GG, Präambel unseres GG, die 10 Gebote, muss stabil erhalten werden, bei aller Notwendigkeit der fortwährenden Anpassung an sich verändernde Verhältnisse, wie dies schon immer war.

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