20.6 Offener Brief:  Bericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2006 an Herrn Minister Tiefensee
20. Wirtschaft/Gesellschaft
20.8 Kein Patent auf Leben!
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20.7 Eine gemeinsame Erklärung als "Sonderpublikation" und ihre Tragweite

5 Genossenschaftsprüfverbände – Deutscher Raiffeisenverband e.V. (drv)/ Mitteldeutscher Genossenschaftsverband e.V. (MGV)/ Genossenschaftsverband Norddeutschland e.V. (GVN)/ Genossenschaftsverband Frankfurt (GVF)/ Fachprüfungsverband von Produktivgenossenschaften in Mitteldeutschland e.V. (FPV) – haben in einer „Gemeinsamen Erklärung“ ihren Unmut über die öffentliche Diskussion zur erwarteten, von der EU beabsichtigen Einführung einer Obergrenze für Direktzahlungen freien Lauf gelassen. Hiezu auch „Landpost“ Heft 20/2007 Seite 10 f. 

Dabei legen die Verfasser dieser „Sonderpublikation“ (auch als Sonderdruck der Verbände nachzulegen) – sicher ungewollt – die gravierenden Schwächen der ostdeutschen Agrarstruktur mit ihren 1.608 Agrargenossenschaften und schätzungsweise 1.000 weiteren „Gemeinschaftsbetrieben“ (Kapitalgesellschaften – AG,  GmbH, GmbH & Co. KG, darunter solche der 2. und 3. Generation) deutlich offen. Um diese zu erkenne sollte man die tatsächlichen Verhältnisse und Hintergründe sowie die historische Entwicklung berücksichtigen und in die Entscheidungsfindung einbeziehen.

Hierzu hat der Verfasser dieser hier vorliegenden Stellungnahme bereits in seinen beiden Dokumentationen von 1995 und dem Jahr 2000 sowie im Internet und in verschiedenen Fachzeitschriften seit 15 Jahren publiziert.   

Zur Sonderpublikation der 5 Genossenschaftsprüfverbände vom Mai 2007 hier einige Anmerkungen: 

1.   Die 5 Verbände wenden sich gegen das Ende der Gleichbehandlung der Agrargenossenschaften (und der übrigen Gemeinschaftsbetriebe), unterlassen es aber darauf hinzuweisen, dass nur gleiches mit gleichem verglichen werden kann.

Die Agrarstrukturen der europäischen Länder haben sich historisch in den zurückliegenden Jahrhunderten anders entwickelt und herausgebildet, als ab 1945 in der damaligen Ostzone, der SBZ und dann in der DDR durch teilweiser Enteignung und  zwangsweiser Kollektivierung nach leninschem Genossenschaftsplan, so wie im § 6 LPG-Gesetz ab 1952 durch SED-Parteitagsbeschluss in der DDR vorgegeben. Die Zwangskollektivierung in der DDR und die Industrialisierung der Agrarproduktion in volkseigenen Gütern und Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG)  war danach die Fortsetzung der Oktoberrevolution von 1917 in der Sowjetunion übertragen auf die damalige DDR- Agrarverfassung, die bis 1945 mit der europäischen Familienbetriebsverfassung identisch war.

Diese ist folglich seit 1945/1952/1960/1974 nicht mehr vergleichbar mit der gesamten westeuropäischen Agrarverfassung. Hier hat politischer Zwang alte Strukturen zerstört und kommunistische Kollektivgesellschaften geschaffen. Kollektive Kommandowirtschaft war das Ergebnis, die 1989 wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich am Ende war und zusammenbrach.

Das LPG-Gesetz von 1952/1982 und ihre Umsetzung in der DDR hat mit dem Genossenschaftsgesetz und den Vorstellungen von Raiffeisen und Schulze-Delitzsch nichts gemein. 

2.   Das Landwirtschaftsanpassungsgesetz (LwAnpG) von 1990/91 hatte in §§ 1, 2 und 3 das Ziel, das Privateigentum wieder zu gewährleisten (Artikel 14 GG). Daher wurden allen nach Bundesrecht möglichen Eigentums- und Wirtschaftsformen, bäuerlichen Familienwirtschaften und Genossenschaften sowie anderen Rechtsformen Chancengleichheit eingeräumt. Damit wurden die Voraussetzungen geschaffen für die Wiederherstellung leistungs- und wettbewerbsfähiger Landwirtschaftsbetriebe, um die in ihnen tätigen Menschen an der Einkommens- und Wohlstandsentwicklung zu beteiligen. 

Nach § 3a LwAnpG haften die Vorstandsmitglieder ihren Mitgliedern für Schäden, die ihren Mitgliedern entstehen können, wenn Vorstandsmitglieder ihre Sorgfaltspflicht entsprechend eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters verletzten. Insoweit trifft die Vorstandsmitglieder die Beweislast, dass sie ihrer Sorgfaltspflicht nicht vorsätzlich oder fahrlässig verletzt haben. 

Nach § 4 bis § 34 LwAnpG wird den LPGs unter Wahrung der Kapitalerhaltungspflicht die Chance eingeräumt, durch Teilung, Zusammenschluss und Umwandlung eine neue Rechtsform oder nach § 41 LwAnpG die Auflösung zu beschließen. Nach § 44 LwAnpG war das Eigenkapital der LPG den LPG-Mitgliedern, vorrangig zunächst den Bodeneigentümern – Bauern, also Landeinbringern und Inventarbeitragszahlern, zuzuordnen und auszuzahlen oder in Genossenschaftsgeschäftsanteilen/Aktien, GmbH-Geschäftsanteile oder KG-Anteile umzuwandeln.

Schließlich ist nach LwAnpG § 53 ff ein Bodenordnungsverfahren in Anlehnung an das Flurbereinigungsgesetz möglich, um die Zusammenführung von selbständigen LPG-Gebäudeeigentum und Grund und Boden der Bodeneigentümer im Sinn § 94 BGB zu regeln. 

3.   Tatsächlich gibt es in der Praxis kaum einen Fall – LPG/Kapitalgesellschaft -, wonach diese nach bundesdeutschem Grundgesetz (Artikel 14) geschützten Eigentumsrechtsverhältnisse von den LPGs oder ihren Nachfolgeunternehmen auch nur annähernd korrekt eingehalten worden wären. Bekanntlich sind in zahlreichen Fällen, Teilung, Zusammenschluss und Umwandlung, nicht dem Gesetz entsprechend erfolgt und daher rechtsunwirksam - nichtig. Diese Problematik verjährt nie, Registereintragungen genießen insoweit keinen öffentlichen Glauben. 

In all diesen Fällen befinden sich die früheren LPGs in bisher unerkannter Liquidation. Das LPG-Vermögen wurde von den neuen Unternehmen – Agrargenossenschaften und anderen Kapitalgesellschaften, Gemeinschaftsbetrieben – ohne Rechtsgrund in Besitz genommen und  hierüber verfügt. In sicher mehr als 10 % aller Fälle dürften inzwischen Insolvenzverfahren durchgeführt worden sein oder bevor stehen. In einer Studie hat die Universität Jena schon vor Jahren festgestellt, dass allein 11 % der Umwandlungen, im Freistaat Sachsen 35 Fälle, fehlgeschlagen waren. Die Landesregierung hat unter Berücksichtigung von Teilung und Zusammenschlüssen i. S. LwAnpG 86 solcher fehlgeschlagener Fälle bestätigt.

Eine korrekte, dem Gesetz entsprechende Eigenkapitalermittlung und -zuordnung nach § 44 LwAnpG ist in den seltensten Fällen realisiert worden. Dies bestätigen zahlreiche Verfahren bei den Landwirtschaftsgerichten. Auch bei Einsichtnahme in die Bilanzen der Agrargenossenschaften und Gemeinschaftsunternehmen ist bis heute feststellbar, dass meist nur ein Bruchteil des Eigenkapitals von 1990/91 den Mitgliedern tatsächlich zugeordnet und ausgezahlt bzw. als Genossenschaftsgeschäftsanteil, Aktien, GmbH-Anteil oder KG-Anteil zugeordnet wurde. Die Grundrechte, Art. 1, 2, 3, 14 GG, sind unverändert in hohem Maße verletzt. 

Die von den 5 Genossenschaftsverbänden in ihrer Sonderpublikation erwähnte „zweite Enteignung“ (nach der „ersten Enteignung“ in 1960/1974 – den beiden großen Zwangskollektivierungswellen - nach LPG-Gesetz), hat  bereits 1990/91 stattgefunden. Der mögliche Verlust der Geschäftsanteile an einem neuen Unternehmen im Falle einer Insolvenz ist denkbar – soweit dieser nicht ohnehin schon in den zurückliegenden Jahren mit erwirtschafteten Verlusten verbraucht wurde.  Im Verhältnis zu dem tatsächlichen Anspruch nach § 44 LwAnpG aus dem Jahre 1990/91 ist dieser Restgeschäftsanteilswert erfahrungsgemäß nur noch ein äußerst geringer Bruchteil des Vermögens, dass von 1952 bis 1990, insbesondere 1960/1974 nach LPG-Gesetz in die LPG eingebracht und schon  1990/91 aufgrund der nicht korrekten Vermögenseigenkapitalzuordnung nach § 44 LwAnpG den Bauern und Bodeneigentümern im Beitrittsgebiet verloren gegangen ist. 

Schließlich sind ohnehin höchstens noch 10 % der Bodeneigentümer mit Kapitalgesellschaftsanteil Mitglied in den neuen Betrieben – Agrargenossenschaften. 

Bei 1.600 ha (rückläufig) bewirtschafteter LF/Agrargenossenschaft/ Gemeinschaftsbetrieb und 10 ha LF je Verpächter/Bauer – Landeigentümer wären dies 16 (10 %) Bodeneigentümer im Durchschnitt je Agrargenossenschaft/Gemeinschaftsbetrieb mit Geschäftsanteil.

Die Mehrzahl der Nochmitglieder, Genossen/Gesellschafter sind landlose Arbeitnehmer. 

4.   Das kommunistische Unrechts, ausgehend von der leninschen Oktoberrevolution in der Sowjetunion, den Enteignungen und der Zwangskollektivierung in der SBZ bzw. DDR von 1945 bis 1990 hat sich nunmehr weitere 17 Jahre mit Hilfe von Millionen Fördermitteln für die Agrargenossenschaften und Gemeinschaftsbetriebe auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, dem heutigen Beitrittgebiet, fortgesetzt. 

Die Beschränkung auf eine Obergrenze der Förderung dieser Großbetriebe im Rahmen der Einführung der Direktzahlungen, Zahlungsansprüche und Förderumstellung von 2002 bzw. 2005 wäre daher konsequent, korrekt und gerecht gewesen und muss nun im Rahmen der Überprüfung der gemeinsamen Agrarpolitik in  2007/2009 nachgeholt werden.

Darin sehen die Genossenschaftsprüfverbände eine Ungerechtigkeit auf die Agrargenossenschaften zukommen. 

5.   Wie die Agrarberichte der Bundesregierung und der einzelnen Bundesländer in den zurückliegenden 15 Jahren dokumentieren, haben die aus den landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) hervorgegangenen Agrargenossenschaften und Gemeinschaftsbetriebe/Kapitalgesellschaften die ihnen im LwAnpG eingeräumte Chance nicht genutzt. Die Betriebsergebnisse waren im Durchschnitt in all den Jahren meist negativ. Der Eigenkapital- bzw. Vermögenssubstanzverbrauch war zum Teil beängstigend. Viele der neuen Unternehmen erhielten neben der üblichen Förderung noch Liquiditätshilfe. Viele haben die verlustbringende Milchviehhaltung abgeschafft und die Milchquote in den letzten Jahren zwecks Liquiditätsbeschaffung verkauft. Andere Betriebe, insbesondere mit Milchviehhaltung, wurden in nicht wenigen Fällen inzwischen auch an ausländische Investoren verkauft. Wie die Agrarberichte auch im Vergleich der Kapitalgesellschaften zu den Haupterwerbsbetrieben bestätigen, haben die Agrargenossenschaft/Kapitalgesellschaften weit überdurchschnittliche öffentliche Förderung erhalten und dennoch ein weit schlechteres Betriebsergebnis als die privaten Bauern, Einzelunternehmer/GbR erwirtschaftet. Mit dem Geldzufluss aus allen öffentlichen Fördertöpfen konnten die Agrargenossenschaft und übrigen Kapitalgesellschaften i.d.R. 80 bis 90 %, zum Teil über 100 % ihrer Personalkosten decken, wie die Agrarberichte/Gewinn- und Verlustrechnungen und die Buchführungsergebnisse der Testbetriebe bestätigen. Kein mittelständischer Betrieb kann sich Jahr für Jahr über solch staatlichen Geldsegen erfreuen. 

Beispiele hierzu aus zwei Länderberichten: 

So dokumentiert z. B. der Agrarbericht Thüringen 2007 u. a., dass die juristischen Personen (Agrargenossenschaften und Kapitalgesellschaften) 2004/05 und 2005/06 pro ha 526,00 €/ha LF bzw. 507,00 €/ha LF Personalaufwand hatten, bei 481,00 €/ha bzw. 443,00 €/ha staatlicher Zahlungen – Direktzahlungen,  KULAP bis Agrardieselerstattungen. Gegenüber 429,00 €/ha bzw. 404,00 €/ha Subventionen der Hauterwerbsbetriebe. Die Betriebsergebnisse – ordentlichen Ergebnisse – lagen bei den juristischen  Personen bei  minus 9,00 €/ha, bei den Haupterwerbsbetrieben dagegen bei plus 172,00 €/ha. 

In Mecklenburg-Vorpommern liegen die Zahlen der juristischen Personen 2003, 2004 und 2005 bei Zulagen und Zuschüssen (Subventionen) bei 345,00 €/ha, 360,00 €/ha und 341,00 €/ha, bei Personalaufwand von 389,00 €/ha, 390,00 €/ha und 381,00 €/ha. Der Gewinn lag bei 65,00 €/ha, 78,00 €/ha und 2,00 €/ha. Das bereinigte Eigenkapital dieser Großbetriebe (1.500 ha LF) hat in diesen Jahren zwischen 3,00 €/ha und 41,00 €/ha abgenommen. 

Die Einzelunternehmen – Ackerbau – weisen ein Betriebsergebnis in  2005 von 208,00 €/ha und einen Gewinn je Familien-AK von 34.493,00 € aus. Die Verbundbetriebe dieser Betriebsgruppe weisen ein Betriebsergebnis von 275,00 €/ha, Gewinn von 215,00 €/ha und 31.795,00 € Familien-AK nach.

Auch die Einzelbetriebe  - Futterbau – konnten 2005 mit 510,00 €/ha ein gutes Betriebsergebnis verbuchen, bei 384,00 €/ha Gewinn bzw. 55.020,00 € Gewinn je Familien-AK.

In 2006 weist der Agrarbericht von Mecklenburg-Vorpommern für die juristischen Personen Subventionen von 323,00 €/ha aus, die Einzelbetriebe dagegen 312,00 €/ha. Dabei hatten die juristischen Personen einen Personalaufwand von 275,00 €/ha LF. Im Betriebsergebnis betrug der Überschuss der juristischen Personen 27,00 €/ha, der der Einzelunternehmen knapp 200,00 €/ha. 

6.   Der Rückgang der Viehhaltung, der beschäftigten Arbeitskräfte und Mitglieder in diesen Unternehmen, sowie der bewirtschafteten Fläche bestätigt ebenso die negative Entwicklung der zurückliegenden 15 Jahre. Die Großbetriebe haben es nicht vermocht, ihre Chance i. S. § 3 LwAnpG auch durch Nutzung der Kostendegression und ihrer Marktstellung, die auch die 5 Genossenschaftsverbände in ihrer Sonderpublikation hervorheben, zu nutzen um effektiver, produktiver und rentabel zu wirtschaften. Die LPGs waren 1989/90 mit durchschnittlich 10 ha LF/AK und 10 GV je Arbeitskraft sowie Getreideerträge/ha und Milchleistung/Kuh von etwa 50 % der Westbauern völlig unrentabel. Die Pleite der DDR hatte schon auch ihre wirtschaftlichen Gründe. Diese Verhältnisse haben sich zwar bis heute deutliche verbessert, doch bleibt eben festzustellen, wie die Agrarberichte dokumentieren, dass bestenfalls 20 % dieser Großbetriebe wirklich rentabel wirtschaften und dies auch nur mit weit überdurchschnittlichen jährlichen Subventionen und nicht zugeordneten Eigenkapital i. S. § 44 LwAnpG. Mit Altschuldenerlass und begünstigtem Flächenerwerb werden diese LPG-Unternehmen zusätzlich „belohnt“. Bei der BVVG bzw. der Bankgesellschaft (BAG) geht man offensichtlich davon aus, dass mit der gesetzlichen Altschuldenregelung weniger 10 % der Schuldbeträge getilgt werden, d.h., es gibt 90 % Erlass der einst rund 5 Mrd. € Altschulden. Von den in 15 Jahren theoretisch möglichen aufgelaufenen Zinsen ganz zu schweigen. (Bauernzeitung 26/2007). 

7.   Die von den 5 Genossenschaftsverbänden in ihrer Sonderpublikation erwähnte Möglichkeit der Unternehmensteilung, um kleinere Genossenschaften zu bilden, die unter einer möglichen Förderobergrenze bleiben, muss schon daran scheitern, dass für solche Unternehmen keine qualifizierten Führungskräfte verfügbar stehen. Schon die zurzeit (noch) existierenden Agrargenossenschaften und übrigen Gemeinschaftsbetriebe/Kapitalgesellschaften haben bekanntlich große Probleme, den Generationswechsel im Führungspersonal zu bewältigen. Zudem ist nicht zu erwarten, dass kleinere Agrargenossenschaft/Kapitalgesellschaften rentabler wirtschaften würden als die jetzigen großen. Der Fisch stinkt bekanntlich vom Kopf her!

Auszuschließen ist indes nicht, dass nach einer Subventionskürzung eine willkommene Insolvenzwelle dazu genutzt wird, um eine „Entschuldungs- und Privatisierungswelle“ auszulösen.

8.   Nach den Agrarberichten und Buchführungsergebnissen des Bundes und der Länder (Testbetriebe) haben bestenfalls 20 bis 25 % dieser LPG-Agrarunternehmen aufgrund ihrer Betriebsergebnisse eine mittel- und langfristige Überlebenschance. Dies allerdings auch nur deshalb, weil sie in den Genuss von Altschuldenerlass gekommen sind, verbilligt Land erwerben konnten, insbesondere aber das den Bodeneigentümern/Bauern bei der „ersten Enteignung“ 1960/1974 abgenommene Vermögen mit Zins und Bodennutzungsvergütung  bei der zweiten Enteignung 1990/91 nicht nach § 44 LwAnpG zugeordnet und nicht ausgezahlt haben. Frühere LPG-Bauern, die noch Mitglied in der Agrargenossenschaft oder dem Gemeinschaftsbetrieb/Kapitalgesellschaft sind, erhalten erfahrungsgemäß bei ihrem Ausscheiden nur einen Bruchteil ihres tatsächlich zustehenden Vermögens i. S. § 44 LwAnpG. In aller Regel lassen schon die Satzungen der neuen Unternehmen – auch nach Genossenschaftsgesetz – keine Beteiligung am Eigenkapital der Gesellschaft zu, soweit dieses über den Geschäftsanteil hinausgeht, dass aber bekanntlich nicht seit 1990 erwirtschaftet wurde, sondern 1990/91 entgegen der gesetzlichen Vorschriften den Bodeneigentümern nicht nach § 44 LwAnpG zugeordnet wurde. Nicht selten wird dieser Vermögensteil schließlich beim Rest-Vorstand „privatisiert“. Die „zweite Enteignung“ zeigt ihre Ergebnisse.

9.   Die zweite Enteignung wurde also von den LPGs und ihren Nachfolgeunternehmen spätestens 1991 auf den Weg gebracht und wird nun, wenn Mitglieder ausscheiden, endgültig vollzogen. Zudem ist festzustellen, dass jedes der  Agrargenossenschaften/Gemeinschaftsunternehmen mit im Durchschnitt 1.600 ha LF (abnehmend)  mindest 100 (bis 200) Verpächter/Bodeneigentümer, einstige LPG-Bauern, haben, von denen aber erfahrungsgemäß kaum noch 10 % Mitglied in dem neuen Unternehmen, der Agrargenossenschaft oder Gemeinschaftsunternehmen/ Kapitalgesellschaft,  Gesellschafter sind.

Das erforderliche Vertrauen für ein gedeihliches Zusammenleben ist seit Jahrzehnten zerstört, die Glaubwürdigkeit der Gesellschaft auch infolge der Fortsetzung des DDR-LPG-Unrechts nach zwei Diktaturen und Weltkriege im letzten Jahrhundert so nicht wieder herstellbar. Die Orientierungslosigkeit vieler Menschen hat konkrete Ursachen. 

Die ganz überwiegende Mehrzahl der einstigen LPG-Bauern, Land- und Inventareinbringer, dessen sind sich diese und ihre Erben (Art. 14 GG) bewusst, hat ohnehin kaum noch eine Chance auf weitere Abfindung, es sei denn, über das Registergericht wird festgestellt, dass eine Gesamtrechtsnachfolge i.S. § 4 ff LwAnpG nicht vorliegt, für die einstige LPG ein Nachtragsliquidator bestellt werden muss und dieser einen Liquidationsüberschuss verteilen könnte.

Eine Überprüfung der Registerunterlagen – trotz Registereintragung – um die Entstehung des neuen Unternehmens nachzuvollziehen, kann sich daher durchaus in einigen Fällen lohnen. Das Protokoll des Sächsischen Landtags vom 27.02.2003, Drucksache 3/6710, dokumentiert dies deutlich.

10.   Die 5 Genossenschaftsprüfverbände zeichnen ein ganz sicher realistisches, den Tatsachen entsprechendes Bild der von ihnen geprüften, beratenen und vertretenen Betriebe, wenn sie die  permanenten wirtschaftlichen Schwächezustände bestätigen, indem sie unmissverständlich darlegen, dass diese bei weniger Subventionen vor Insolvenz stehen. Gewinne, Eigenkapitalbildung, Nettoinvestitionen waren in den zurückliegenden 16 Jahren selten zu verzeichnen. Daher würde eine Kürzung der Direktzahlungen in einer großen Zahl der Fälle zur Insolvenz dieser Betriebe führen.

Nicht zu folgen ist jedoch den dort dargestellten möglichen Konsequenzen, die sich daraus für den ländlichen Raum, die Dörfer, die Menschen, die dort noch leben, ergeben sollen.

Zahlreiche private Bauern – Familienbetriebe - im Beitrittsgebiet, und auch dies bestätigen die Agrarberichte des Bundes und der Länder, wirtschaften erfolgreich. Bekanntlich gibt es auch sehr viele junge interessierte landwirtschaftliche Unternehmer, die ihre Betriebe aus dem Nebenerwerb oder auch schon Haupterwerb weiter aufstocken   oder solche neu gründen würden. All diese privaten Unternehmer erhielten ihre Chance, eine eigenverantwortliche selbständige Existenz aufzubauen, die die LPG-Unternehmen nach LwAnpG nicht genutzt haben und nicht zu nutzen in der Lage, nicht zu nutzen fähig, waren.

Bei korrekter Auflösung der LPG-Betriebe infolge fehlgeschlagener Gesamtrechtsnachfolge oder Liquiditätsprobleme infolge gekürzter Subventionen könnten die 25 bis 50 in jedem Kreis ansässigen Privatbauern die Flächen, Ställe und Technik zur Weiterbewirtschaftung übernehmen. 

Die Landbewirtschaftung würde folglich  lückenlos fortgesetzt. Da die privaten Bauern nach den Agrarberichten und Buchführungsergebnissen auch einen höheren Viehbestand ausweisen und etwa gleich viel Arbeitskräfte pro 100 ha wie die Großbetriebe beschäftigen, muss auch die Viehhaltung und die Beschäftigung im ländlichen Raum, in den Dörfern, nicht zurückgehen, wenn die örtliche Agrargenossenschaft oder das Gemeinschaftsunternehmen/Kapitalgesellschaft ihr wirtschaftliches Ende eingesteht, wie von den 5 Genossenschaftsverbänden im Falle der Subventionskürzung in ihrer gemeinsamen Erklärung vorausgesagt.

Daher muss auch der Pachtmarkt keinen Schaden nehmen. Ebenso könnte die Investitionstätigkeit im ländlichen Raum durch private Bauern und Mittelstand, Handwerk aktiviert werden. Eine Umleitung der seither überhöhten Förderung der Großbetriebe in die 2. Säule und damit in den ländlichen Raum, könnte bei vernünftiger Organisation durchaus eine große Chance für den ländlichen Raum sein.

Und gewiss müssen auch die sozialen Sicherungssysteme nicht leiden, wie die 5 Prüfverbände meinen, denn die Privatbauern, ihre Familien und Arbeitnehmer zahlen selbstverständlich entsprechende Beiträge nach dorthin.

Nicht negativ würde sich eine solche ehrliche Umstrukturierung der Ost-LPG-Agrarstruktur auch auf die der Landwirtschaft vor- und nachgelagerte Wirtschaft auswirken. Denn die Privatbauern mit z.B. 50 ha bis 300 ha und entsprechender Viehhaltung würden den Markt sicher beleben. Aktive eigenverantwortliche Unternehmer im Haupt- und Nebenerwerb würden zweifelsohne der Wirtschaft im ländlichen Raum mehr Dynamik verleihen. Die wenigen Regionen ohne Agrargenossenschaften/Kapitalgesellschaften beweisen dies schon lange. Für Weltuntergangsstimmung ist ohne die LPG-Betriebe sicher kein Anlass. Schließlich bewirtschaften die Privatbauern rund 50 % der LF im Beitrittsgebiet, ohne Nachteil für den ländlichen Raum, ganz im Gegenteil. Würden diese in wenigen Jahren 100 % der LF bewirtschaften, wäre dies nur von Vorteil auf allen Ebenen und Gesellschaft und Wirtschaft, nur die (Förder-) Politik müsste dies erkennen und danach handeln und die 5 Genossenschaftsprüfverbände müssten ihre Klientel, ihre Mentalität auf den Weg des Rechtstaats bringen. 

Und sicher ist wie beim Übergang der Förderung zu den Zahlungsansprüchen/ Direktzahlungen eine Referenzzeit zu beachten, da andernfalls bei weiterer Teilung und Neugründung durch Ausgliederung oder sonstiger Umstrukturierung wie seither schon eine weitere „Privatisierung“ des Genossenschaftsvermögens zu  befürchten ist.

Auch das lebende und tote Inventar der Agrargenossenschaften und Gemeinschaftsbetriebe/Kapitalgesellschaften würden dabei nahtlos von privaten Unternehmern durch Kauf vom Insolvenzverwalter bzw. ohne Insolvenz direkt vom Unternehmen bei korrekter Auflösung übernommen. Ohne einen mentalen Wandel bei den Großbetrieben, dem offensichtlich viele ab 1990 versäumt haben, wird dies jedoch nicht gehen. 

Unser, die soziale Marktwirtschaft mit tragende System der Umverteilung, u.a. durch Subventionen, hat hier ihre zulässigen Grenzen überschritten, wenn große Agrargenossenschaften, ohne eigene Effizienz, über Jahre hiervon leben, Vermögenssubstanz, die sie nicht selbst erworben oder erwirtschaftet haben, nämlich meist Vermögen der einstigen LPG-Bauern, mit verbrauchen, weitere andere wirtschaftliche Vorteile vom Staat erhalten ohne hierfür in die Verantwortung genommen und Konsequenzen gezogen werden.

11.   Dass dabei einige Banken und auch staatliche Stellen mit Darlehen, Bankbürgschaften und Fördermittelrückforderung Probleme bekämen, kann nicht ausgeschlossen werden.  Wie konnten diese auch nur in den zurückliegenden 15 Jahren diese Fortsetzung des DDR-LPG-Unrechts weiter so fördern und unterstützen?!

Eine Beendigung dieses Unrechts ist unvermeidbar, wenn der ländliche Raum gerettet werden soll. Dass die Schuldigen und Mitschuldigen an dieser Misere dabei nicht ganz ungeschoren davon kommen können, versteht sich von selbst. Nicht wenige von ihnen haben sich in den Jahren seit 1990 wirtschaftlich ausreichend gesundgelebt. Aufgrund der Kreditrisiken (BASEL II) hätten die Banken in vielen Fällen die Unternehmen ohnehin schon lange nicht mehr finanzieren und die staatlichen Ämter von Anfang an die Fördermittel nicht bedingungslos genehmigen dürfen.

12.   Wie geschichtslos muss man bei den 5 Genossenschaftsprüfverbänden eigentlich sein, um die Tragweite der historischen Entwicklung und ihrer Folgen für die Menschen in den Dörfern, im ländlichen Raum, für die Bauern und Bodeneigentümer und ihre Familien  sowie Erben nicht zu erkennen. Die nach LPGG zwangskollektivierten Bauern, die Fondsausgleich, Inventarbeitrag, Typ I Vermögen, Vieh und Feldinventar in die LPG „freiwillig“ einbringen und dort Mitglied werden mussten, die erheblichen Repressalien ausgesetzt waren, wollten sie nicht so wie die SED und ihre Helfershelfer und so der Staatssicherheit zum Opfer fallen, belastet, ja traumatisiert dieses Umfeld über Generationen. Auch nicht wenige aufgelöste Bauernhöfe, sogenannte örtliche Landwirtschaftsbetriebe (ÖLB), Kreispachtbetriebe und politische Inhaftierte und ihre Familien können von zahlreichen Schicksalen berichten. Kein Dorf das nicht betroffen ist. Die LPG hatte sich schließlich alles nach LPGG einverleibt und das uneingeschränkte Nutzungsrecht.

13.   Dann kam die Wende. Die Hoffnung auf Rechtsstaatlichkeit, Schutz des Eigentums, Menschenrechte und Menschenwürde. Die neuen Bundesländer traten dem Geltungsbereich des Grundgesetz (GG) bei. Vor allem an die Grundrechte, Artikel 1 bis 19 GG, seien die Verfasser der genossenschaftlichen Sonderpublikation erinnert.

Den LPGs wurden 1990/91 wieder alle Chancen eingeräumt. Die neuen Unternehmen werden nun schon 17 Jahre in einem Maß aus öffentlichen Kassen meist erfolglos gefördert, so dass man sich schon wundern muss, wie lang der Steuerzahler dies noch hinnimmt. Die kleineren Betriebe im Haupt- und Nebenerwerb in Ost und West/EU, der Mittelstand erwirtschaftet dagegen – wenn auch oft bescheiden – Gewinn, zahlt Steuern, die dann die großen Agrargenossenschaften in Form von Subventionen benötigen, um am Leben zu bleiben.

Welch eine Gerechtigkeit, welche Art von Gleichbehandlung, welche Art von Solidarität, welch unsoziale Denkweise, welch eine atheistische Mentalität ist da wohl am Werke. Unterwanderung und Zersetzung war eine der Machtstrategien der SED/Staatssicherheit und ihrer Helfer. Und das Dorf vergisst nichts!

Dabei sind die 5 Genossenschaftsprüfverbände nun nicht irgendwelche anonymen Gebilde. Im  Mittelpunkt steht der Mensch, und dies gilt auch für die dortigen Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer. Aber wofür stehen diese?

14.   Dabei geht es hier nicht  um ein Für und Wider einer bestimmten Rechtsform oder Betriebsgröße. Ein ehrlich geschaffener Großbetrieb, die Wirtschaftsgüter der Bilanzaktiva ehrlich erworben und auf der Passiva ehrlich finanziert, kann bei effektiver Wirtschaftsweise kein Ärgernis sein.

Ob ein solcher Subventionsempfänger eine Bedürftigkeit nachweisen kann, wäre zu prüfen. Eine solche Bedürftigkeitsprüfung sollte in jedem Fall immer ab einer gewissen Gesamtsubventionshöhe – z.B. über 100.000 €/Jahr - selbstverständlich sein, wobei ein Gewinn von z. B. 40.000 €/AK incl. Subventionen als Maßstab gelten könnte, der neben den Lebenshaltungskosten/Personalkosten auch noch Nettoinvestitionen decken würde. Auch hier ist Gerechtigkeit, Vertrauen und Glaubwürdigkeit gegenüber aller Bürger gefragt.

Hierzu auch Kapitel 7.8

 

 

 

 

20.6 Offener Brief:  Bericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2006 an Herrn Minister Tiefensee
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