15.13 Heimat - Freiheit und Eigentum
15. Bodenordnung
16.1 Neue Milchquotenregelung – neue Ungerechtigkeit!
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15.14 Im Namen des Volkes

"Über die Justiz im Staat der DDR"  

So lautet die Überschrift einer Ausstellung, die beim Amtsgericht/Landgericht in Dresden vom 1.7.2009 bis 12.8.2009 zu sehen sein wird. Öffnungszeiten in der Regel

Montag - Donnerstag, 09:00 Uhr - 17:00 Uhr, Freitag 09:00 Uhr - 13:00 Uhr. Vorsorglich kann man die Öffnungszeiten erfragen, Lothringer Straße 1, am Sachsenplatz, tel. 0351 446-0. 

Der erste Teil der Ausstellung setzt sich unter anderem mit der "Justiz als Hebel gesellschaftlicher Umwälzung" von 1945 - 1971 auseinander, Flucht und Ausreise, Opposition und Widerstand wird in Dokumenten dargestellt. 

Der zweite Teil beschäftigt sich vor allem mit der Staatssicherheit (Stasi) und dem Strafvollzug.  

Der dritte Teil zeigt Dokumente der Zeit bis 1989/90.Dabei wird auch auf die Auswirkung für die Landwirtschaft und die Zwangskollektivierung hingewiesen und dokumentarisch dargestellt. 

Danach wird die Ausstellung in  

Torgau beim Amtsgericht vom 17.08.2009 bis 25.09.2009, tel. 03421 75330 und schließlich im Amtsgericht in Bautzen vom 30.09.2009 bis 30.10.2009, tel. 03591 3610 zu sehen sein.  

Der Forum Verlag Leipzig hat zur Ausstellung einen Katalog, einen Dokumentenband sowie einen wissenschaftlichen Begleitband herausgegeben, die auch über den Buchhandel zu beziehen sind:  

"Im Namen des Volkes?"
Bundesministerium für Justiz (Hg.):
Über die Justiz im Staat der SED
 

  1. Ausstellungskatalog
    ISBN 978-3-931801-00-7; Broschur 10,00 EUR
  2. Dokumentenband
    ISBN 978-3-931801-02-1; Broschur 16,50 EUR
  3. Wissenschaftlicher Begleitband
    ISBN 978-3-931801-01-4; Broschur 24,50 EUR

 

Danach ist im Dokumentenband des Justizministeriums zur DDR-Justiz u. a. eine Kurzanalyse über die Strafverfahren gegen Bauern in den Kreisen und Bezirken der DDR vom November 1959 von Interesse. Dort heißt es u. a.: wie auch in der Aufstellung bei den Gerichten in Dresden (Landgericht), Torgau und Bautzen bis Oktober zu sehen: 

Wie hat der Ministerratsbeschluss bisher in der Arbeit der Justiz seinen Niederschlag gefunden?

Es gibt zwar in vielen Kreisen das Bemühen, die Erfüllung des Ministerratsbeschlusses bewusst mit den Mitteln der Justiz zu unterstützen, jedoch wird noch zu sehr darauf gewartet. dass das richtige Verfahren gewissermaßen von selbst kommt. Im Kreis Aue gelang es z. B., ein rapides Absinken des Milchaufkommens und Abhol-Verkäufe von Milch durch werktätige Einzelbauern ohne Strafverfahren durch Überzeugungsarbeit der Mitarbeiter aller Staatsorgane im Wesentlichen zu überwinden.

Im Kreis Seelow hat die schnelle Reaktion bei der Auswertung des noch im Stadium der Ermittlung befindlichen Verfahrens gegen den Bauern Z. wegen Nichterfüllung der Ablieferungspflicht zu einer schlagartigen Veränderung des Verhaltens anderer säumiger Ablieferer geführt, indem sie konkret belehrt und aufgefordert wurden, in ihren Gemeinden bei der Erfassung Unterstützung zu leisten. Auch im Kreis Burg hat die Durchführung beschleunigter Verfahren gegen 8 Einzelbauern, die ihre Produkte zurückhielten, kurzfristig zu Veränderungen geführt. Als ungenügend ist die Praxis des Kreisgerichts Sangerhausen sowie einiger Kreisgerichte in den Bezirken Cottbus und Potsdam einzuschätzen, die mittels Strafbefehls wegen Abhol-Verkaufes von Milch und Kartoffeln durch Einzelbauern Geldstrafen von 100 bis 400 DM auswarfen. Nicht einmal die Strafbefehle wurden dazu benutzt, Überzeugungsarbeit zu leisten und Massenwirkung zu erzielen. Gut dagegen ist die Initiative des Kreisgerichts Oschersleben, das seine Schöffen kurzfristig über die Situation in der Landwirtschaft orientierte und zur Unterstützung der Verwirklichung des Ministerratsbeschlusses heranzog.

In einer Reihe von Kreisen im Bezirk Neubrandenburg gab es dagegen im letzten Vierteljahr überhaupt keine Strafverfahren gegen Nichtablieferer, obwohl durchaus in diesen Kreisen hemmende Faktoren in Form von Zurückhaltung von Produkten und ungenügender Marktproduktion vorhanden waren. Als Begründung wird vom Genossen Obersleutnant P., Abteilung K, BdVP, angegeben, dass 253 VP-Angehörige aus einzelbäuerlichen Betrieben stammen bzw. mit Einzelbauern verwandt und deshalb in ihrer Pflichterfüllung gehemmt seien.

Generell hat sich gezeigt, dass von Seiten der örtlichen Organe, Abteilung Landwirtschaft und Aufkauf und Erfassung, in der Vergangenheit die Anwendung staatlicher Zwangsmittel unterschätzt wurde. (Das zeigt sich in der ungenügenden Anwendung von Ordnungsstrafen.) So gab es z. B. im Kreis Königs Wusterhausen im ganzen vergangenen Jahr kein solches Verfahren gegen säumige oder Nichtablieferer.

Allgemein ist festzustellen, dass die Verfahren wegen Nichtablieferung und Spekulation in dem von uns untersuchten Zeitraum (1.9  - 30.11.59) zahlenmäßig gering sind. Bemerkenswert ist, dass es in allen Keisen des Bezirks Rostock gegenwärtig wenig oder gar keine Verfahren dieser Art gibt, dagegen aber der Kreis Wolgast - das Schlusslicht der sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft im Bezirk Rostock -versucht, das Versäumte kurzfristig nachzuholen und mehrere Verfahren dieser Art durchführt. Hier wurden durch die U-Organe eine Reihe nicht gezielter Verfahren eingeleitet, die allerdings nicht bis zum Gericht gelangten. Es gab bisher keine genügende Koordinierung zwischen den Strafverfolgungsorganen und der Abteilung Landwirtschaft. Einige von der Volkspolizei ermittelte Verfahren erwiesen sich als Schlag ins Wasser, da die Eigentümer der mit Ablieferungsrückständen belasteten Wirtschaften aus bestimmten Gründen (Alter, Krankheit u. a.) nicht mehr zur ordnungsmäßigen Bewirtschaftung in der Lage waren und die LPG auch nicht bereit war, die Betreffenden aufzunehmen, da sie eine Belastung bedeuteten.

Im Bezirk Frankfurt/O. gab es im gleichen Zeitraum 2 Verfahren, 3 Verfahren befinden sich in der Ermittlung. Im Bezirk Cottbus dagegen waren es 16 Verfahren und im Bezirk Leipzig 26 Verfahren, die sich aber auf alle Deliktsgruppen verteilen.

Es gibt aber verschiedene Kreise (z.B. in den Bezirken Potsdam und Frankfurt/O.), wo sich .der wirkliche Klassenkampf, auf dem Lande nicht in der Rechtsprechung widerspiegelt. Damit wird unterstrichen, dass den Justizorganen noch nicht klar ist, wie geeignete Verfahren entsprechend der Situation des jeweiligen Bereichs zum Gericht kommen müssen. Grundsätzlich wirken die Justizorgane bei Durchführung von Strafverfahren gegen Bauern auch darauf hin, ihnen die Perspektive der sozialistischen Landwirtschaft zu erläutern. Ungenügend ist dies aber noch im Bezirk Leipzig der Fall. Andere Gerichte - z.B. im Bezirk Rostock- gehen jedoch hierbei zum Teil zu weit, indem sie nicht nur die Vorzüge der sozialistischen Großproduktion propagieren, sondern jegliche Bereitschaftserklärung, sich der Genossenschaftsbewegung anschließen zu wollen, strafmildernd berücksichtigen. So heißt es z. B. in der Strafsache 5 S 98/59 des KG Rostock/Land gegen den Landwirt B., der sich des illegalen Viehhandels schuldig gemacht hatte: "Während der Hauptverhandlung gab der Angeklagte außerdem eine Erklärung ab, dass er sich nach reiflicher Überlegung dazu entschlossen habe, sich an der genossenschaftlichen Produktion zu beteiligen. Es zeigt sich, dass während der bereits erlittenen U.-Haft eine bewusstseinsmäßige Wandlung bei dem Angeklagten eingetreten ist, die erkennen lässt, dass der Erziehungszweck auch mit einer Strafe von 6 Monaten erfüllt wird" (der Antrag der Staatsanwaltschaft lautete auf 1 Jahr Gefängnis). Des Weiteren heißt es im Urteil: "Zum anderen soll nach Strafverbüßung die Arbeitskraft des Angeklagten als Viehzuchtbrigadier der genossenschaftlichen Produktion in Stäblow zugute kommen". In dem Verfahren S 61/59 des KG Belzig (Bezirk Potsdam) gegen den Landwirt E. wurde in noch krasserer Weise verfahren. Der Angeklagte, der außerdem noch eine Gastwirtschaft betreibt, hatte unter Ausnutzung eines Kommissionsvertrages mit der Konsum-Genossenschaft 2.733,60 DM genossenschaftliche Gelder unterschlagen. Es wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und Inhaftierung sollte erfolgen. Kurz zuvor wurde E. jedoch Mitglied der LPG in Locktow. Aus diesem Grunde wurde von einer Inhaftierung Abstand genommen. Beim Strafausspruch ließ sich das Gericht von dem Eintritt in die LPG leiten und erkannte auf eine bedingte Strafe von 1 Jahr Gefängnis.

Es gibt nur wenige Fälle, wo eine Strafmilderung trotz entsprechender Erklärung des Angeklagten in der Hauptverhandlung abgelehnt wurde. So in dem Verfahren gegen H. wegen gefährlicher Körperverletzung des KG Strasburg, Bezirk Neubrandenburg. Hier
erfolgte die Nichtberücksichtigung mit Recht, da der Angeklagte offenbar nicht aus innerer Überzeugung seine Bereitschaft zum Eintritt in die LPG erklärt hatte. Zwar kann die Bereitschaftserklärung, einer LPG beizutreten, bei der Strafzumessung Berücksichtigung finden, jedoch ist jeder einzelne Fall sehr differenziert einzuschätzen. In den Fällen, in denen unter dem Eindruck des Strafverfahrens der Entschluss, der LPG beizutreten, schneller gefasst wurde, handelt es sich nicht um solche, die speziell zu dem
Zweck eingeleitet wurde, die betreffenden Einzelbauern durch Druck in die LPG zu bringen. Es lagen jeweils strafbare Handlungen vor, die verfolgt werden mussten. Im Laufe der Zeit hat sich aufgrund dieser Praxis die Tendenz entwickelt, dass Bauern bei Einleitung eines Strafverfahrens von sich aus den Wunsch äußern, in die LPG aufgenommen zu werden, mit dem Ziel, eine mildernde Beurteilung zu erfahren. Es kann Fälle geben, In denen es richtig ist, dass die Strafverfolgungsorgane die Gelegenheit von Strafverfahren dazu benutzen, um die Betreffenden von den Vorzügen der genossenschaftlichen Produktion zu überzeugen, und im weiteren dann auch diese Bereitschaft der Bauern, in die LPG einzutreten, entsprechend würdigen. Keinesfalls kann aber geduldet werden, dass sich hieraus ein Schematismus entwickelt oder die Auffassung verbreitet, dass der Beitritt zur LPG generell Straffreiheit nach sich ziehe. Es gehört zur richtigen Entscheidung, die genaue Kenntnis der Situation in der betreffenden Gemeinde sowie die Gewissheit, dass durch eine solche Maßnahme die Entwicklung der Genossenschaft nicht beeinträchtigt wird.

Gibt es Tendenzen, mit administrativen Mitteln Einzelbauern zum Beitritt in die LPG zu bewegen?

Grundsätzlich konnten in den von uns überprüften 7 Bezirken keine Verfahren festgestellt werden, bei denen mit administrativen Mitteln, Einzelbauern zum Eintritt in die LPG gezwungen wurden. Festgestellt wurde weiterhin, dass die Justizorgane einen erheblichen Anteil an Überzeugungsarbeit leisteten, um Einzelbauern zum freiwilligen Eintritt in die LPG zu bewegen. Trotzdem zeigen einige Beispiele noch vorhandene politische Unklarheiten in den Sicherheits- und Justizorganen. In einigen Bezirken zeigte sich jedoch bei den Räten der Kreise die Tendenz, die Staatsanwälte und Volkspolizei zu benutzen, um in Aussprachen mit Nichtablieferern eine stärkere Wirkung auszuüben. Dies war u. a. besonders im Bezirk Cottbus in den Kreisen Forst und Lübben der Fall. Bei dieser Methode musste bei den Bauern der Eindruck entstehen, dass sie entweder einer LPG beitreten oder wegen der Nichtablieferung mit einem Strafverfahren rechnen können. Von der Bezirksstaatsanwaltschaft wurde hier inzwischen dieser Tendenz entgegengewirkt. Eine falsche Behandlung zeigte sich auch in der Strafsache gegen den Bauern W. durch den Kreisstaatsanwalt des Kreises Forst. Dieser hatte den Bauern vorgeladen und mit ihm über seine Ablieferungsschulden gesprochen, wobei zum Ausdruck gebracht wurde, dass er sich strafbar gemacht habe. Im Verlaufe der Aussprache verpflichtete sich der Bauer W., einen Antrag um Aufnahme in die LPG zu stellen. Daraufhin verfügte der Kreisstaatsanwalt die Vorlage der Akten zur Kontrolle und verfügte schließlich die Ablage, nachdem W. der LPG beigetreten war. Auf Befragung erklärte W., er würde der LPG beitreten, da ihm nichts anderes übrig bliebe. In Luckau gab es einige Ermittlungsverfahren wegen Nichtablieferung, die nach Erklärung der Beschuldigten, der LPG beitreten zu wollen, eingestellt wurden.

In der Gemeinde Varsleben Kreis Wolmirstedt führte der Kreisstaatsanwalt gemeinsam mit  einem Staatsanwalt der Bezirksstaatsanwaltschaft, Mitarbeitern des Rates und des Volkspolizeikreisamtes mit dem Großbauern G. eine Aussprache, in deren Verlauf G. auf die  Strafbarkeit seines Verhaltens hingewiesen wurde (er bewirtschaftete eine Drillingswirtschaft und erfüllte insofern nicht seine Ablieferungsverpflichtung). Als G. zu Beginn der Vernehmung dem Mitarbeiter des Volkspolizeikreisamtes gegenüber äußerte, dass er evtl. der LPG beitreten würde und um eine Aussprache mit seiner Ehefrau bat, wurde diese zum Gemeindeamt geholt. Im Ergebnis der Aussprache erklärte sich G. auch bereit, Mitglied der LPG zu werden. Die Eintrittserklärung wurde von dem VP-Angehörigen selbst vorgeschrieben. Damit wurde das Ermittlungsverfahren abgeschlossen.

Vom Volkspolizeikreisamt in Ludwigslust wurde mitgeteilt, dass die Bäuerin J. in Lüdtkenwisch mit ihren 24 ha ständig mit der Ablieferung im Rückstand war. Ohne ein Verfahren einzuleiten, wurde die J. zur Volkspolizei geladen und dort mit  ihr über die Ursachen ihrer Rückstände und ihrem evtl. Eintritt  in die LPG gesprochen. Nach längerer Diskussion erklärte sie sich bereit, der LPG beizutreten. In ihrer Beitrittserklärung schrieb sie dann, dass sie "auf Weisung der Kriminalpolizei" der LPG beitrete. Von den LPG-Mitgliedern wurde sie angehalten, eine neue Erklärung abzugeben. Ihre Beitrittserklärung war Anlass, von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abzusehen."

  

Wie die Landpost (Heft 22/2009) bereits berichtet hat, findet zurzeit, noch bis Ende Oktober 2009, bei verschiedenen Gerichten in Sachsen (Döbeln, Dresden, Torgau, Bautzen) eine Ausstellung statt über die DDR-Justiz.  

In dem dazu beim Forum Verlag Leipzig erschienenen Katalog sind unter anderem auch mehrere Entscheidungen aufgeführt, die gegen Bauern ergangen sind, die entweder ihr Ablieferungs-Soll nicht erfüllen konnten oder sich gegen die Zwangskollektivierung gewandt haben. Hieraus einige Auszüge: 

"Die erste Verfassung der DDR von 1949 enthielt noch eine Eigentumsgarantie für privat-bäuerliche Betriebe. Absichten, die gesamte Landwirtschaft wie in der Sowjetunion zu kollektivieren, wurden jahrelang geleugnet. 

Doch auf der zweiten Parteikonferenz im Juli 1952 beschloss die SED die "freiwillige Vorbereitung des Sozialismus auf dem Lande" durch die Gründung Landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften (LPG). Freiwillig wurden in den ersten Jahren jedoch fast nur Neu- und Kleinbauern mit unrentablen Betrieben Mitglieder. Der Widerstand bei den anderen Bauern war erheblich. Unrealistisch hoch angesetzte Ablieferungsmengen und eine Reihe von Schikanen sollten sie zum Aufgeben zwingen. Von Enteignung und Haft bedroht, flohen Zehntausende von Bauern in den Westen. Tausende kamen hinter Gitter. Die DDR geriet in Versorgungskrisen. 

Die Politik des "Neuen Kurses" vom Juni 1953 brachte eine kurze Pause in der Enteignungs- und Kollektivierungspolitik. Inhaftierte Bauern kamen wieder frei und durften ihre Felder bestellen. 1957/58 wurde der wirtschaftliche und psychologische Druck auf die verbliebenen zirka 500 000 Bauern wieder verstärkt. 

Im Frühjahr 1960 ging die SED unter Einsatz aller Mittel gegen Einzelbauern vor. Am Ende der Kampagne war das selbständige Bauerntum zerschlagen. 

                                                                                                            Berlin, den 8.April 1953 

                                                                   Bericht

                                             über die Tätigkeit der Justizorgane

                                            im Kampfe gegen die feindl. Tätigkeit 

 

b) Strafverfahren gegen Bauern wegen Nichterfüllung des Ablieferungssolles

      In der Zeit vom 1.8.1952 bis 31.1.1953 wurden in der Republik gegen

 

                                               Grossbauern    583 Verfahren

                                               Mittelbauern     311    "

                                               Kleinbauern      353    "

         durchgeführt. 

So im Bericht der ZK-Abteilung Staatliche Verwaltung über die Tätigkeit der Justizorgane im Kampf gegen die feindliche Tätigkeit, vom 8. April 1953 (Auszug).  

Maßnahmen wegen Widerstands gegen die Zwangskollektivierung 

26. Mai 1952:     Die Regierung der DDR erlässt eine "Verordnung über Maßnahmen an der Demarkationslinie", in deren Vollzug 898 Bauern Land und Hof verlieren und ausgesiedelt werden. 

3. Juli 1952:      Das Oberste Gericht der DDR verurteilt einen Bauern zu 2 Jahren Freiheitsstrafe und Enteignung wegen Nichterfüllung des Ablieferungssolls. 

2. März 1953:     Das Ministerium der Justiz erlässt die Rundverfügung Nr., 4/53, die ein schärferes Vorgehen bei Strafverfahren gegen Großbauern einfordert. 

7. Mai 1953:     Das Bezirksgericht Erfurt verurteilt sieben Bauern wegen Widerstands gegen die Kollektivierung der Landwirtschaft zu hohen Zuchthausstrafen. Zwei Hauptangeklagte erhalten lebenslange Zuchthausstrafe, vier weitere Strafen zwischen 10 und 15 Jahren. 

9. Juni 1953:     Das Politbüro der SED verkündet den "Neuen Kurs", der das Versprechen enthält, verurteilte Bauern aus der Haft zu entlassen und die Höfe zur Nutzung zurückzugeben. 

30. Januar 1954:     Das Oberste Gericht verurteilt Großbauern wegen Widerstands gegen die Kollektivierung zu hohen Zuchthausstrafen. Während die Haftentlassungen großzügig erfolgen, werden Höfe nur in begrenztem Maß zurückgegeben. 

28. April 1955:     Zwei LPG-Mitglieder werden vom Bezirksgericht Cottbus wegen "Schwächung und Zersetzung einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft" zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt. 

4. Oktober 1958:     Das Bezirksgericht Neubrandenburg verurteilt drei Bauern wegen "Schädlingstätigkeit" zu hohen Zuchthausstrafen. 

3. Oktober 1959:     Das Bezirksgericht Schwerin verurteilt mehrere Bauern, die sich der Kollektivierung widersetzen, zu harten Zuchthausstrafen. 

10. Dezember 1959:     Das Bezirksgericht Dresden verurteilt vier Angeklagte aus Börnerdorf, Kreis Borna, wegen Widerstands gegen die Kollektivierung zu Strafen bis zu viereinhalb Jahren Zuchthaus. 

Januar 1960:     Das Bezirksgericht Dresden verurteilt einen Bauern aus Buchholz wegen Hetze gegen die Kollektivierung zu 8 Monaten Gefängnis. 

6. September 1961:     Das Bezirksgericht Erfurt verurteilt in einem Schauprozess in Worbis einen Bauern zu 4 Jahren Zuchthaus und Aufenthaltsbeschränkung. 

28. Dezember 1961:     Die Zeitung "Neues Deutschland" meldet, dass das Bezirksgericht Frankfurt/Oder einen 50-jährigen Landarbeiter zum Tode verurteilte, weil er in der LPG "Neue Ordnung" in Danneberg zwei Scheunen aus Protest gegen den Bau der Mauer und die Zwangskollektivierung anzündete. Das Politbüro genehmigte das Todesurteil. 

2. Februar 1962:     S., 37 Jahre, welcher aus Protest gegen die Zwangskollektivierung Scheunen, Autos und Garagen anzündete, wird vom Bezirksgericht Dresden mit "Genehmigung" des Politbüros zum Tode verurteilt. 

                                                               Kurzanalyse

                  über Strafverfahren gegen Bauern in der Zeit vom 1.9.59 - 28.11.59

In den Fällen, in denen unter dem Eindruck des Strafverfahrens der Entschluss, der LPG beizutreten, schneller gefasst wurde, handelt  es sich nicht um solche, die speziell zu dem Zweck eingeleitet wurde, die betreffenden Einzelbauern durch Druck in die LPG zu bringen. Es lagen jeweils strafbare Handlungen vor, die verfolgt werden mussten. Im Laufe der Zeit hat sich aufgrund dieser Praxis die Tendenz entwickelt, dass Bauern bei Einleitung eines Strafverfahrens von sich aus den Wunsch äußern, in die LPG aufgenommen zu werden, mit dem Ziel, eine mildernde Beurteilung zu erfahren.

 Vom Volkspolizeikreisamt in Ludwigslust wurde mitgeteilt, dass die Bäuerin J. in Lüdtkenwisch mit ihren 24 ha ständig mit der Ablieferung im Rückstand war. Ohne ein Verfahren einzuleiten, wurde die J. zur Volkspolizei geladen und dort mit ihr über die Ursachen ihrer Rückstände und ihrem evtl. Eintritt in die LPG gesprochen. Nach längerer Diskussion erklärte sie sich bereit, der LPG beizutreten. In ihrer Beitrittserklärung schrieb sie dann, dass sie "auf Weisung der Kriminalpolizei" der LPG beitrete. Von den LPG-Mitgliedern wurde sie angehalten, eine neue Erklärung abzugeben. Ihre Beitrittserklärung war Anlass, von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abzusehen. 

So in der Kurzanalyse der Generalstaatsanwaltschaft für die Abteilung Staats- und Rechtsfragen des ZK über Strafverfahren gegen Bauern in der Zeit vom 1. September bis 28. November 1959." 

 

Im Rahmen der Ausstellung des Bundesministeriums der Justiz, die noch bis Oktober 2009 bei verschiedenen Gerichten in Sachsen zu sehen ist, liegt beim Forum Verlag Leipzig ein Dokumentenband vor, der auch verschiedene Dokumente betreffs Landwirtschaft enthält. Hieraus einige Auszüge: 

"Verbrechen gegen das Gesetz zum Schutze des Volkseigentums und anderen gesellschaftlichen Eigentums"

Das Gesetz ist am 6.10.1952 in Kraft getreten. Bis zum Ende des IV. Quartals 1952 sind bereits gegen 2.419 Personen Anzeigen erstattet worden. 

Die stark ansteigende Tendenz: 

                            Oktober:                                218 Verfahren mit 283 Personen

                            November:                            506       "               745       "

                            Dezember:                            966       "             1391       "

 

zeigt, dass das Gesetz noch nicht genügend bekannt gemacht wurde. 

 

Die Verschärfung des Klassenkampfes auf dem Lande 

Angriffe gegen die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften

Seit der II. Parteikonferenz ist bekannt, dass sich Produktionsgenossenschaften bildeten. Seitens des Ministeriums der Justiz und des Generalstaatsanwaltes wurde jedoch eine vorausschauend geplante Schulung der Richter und Staatsanwälte hinsichtlich der Bedeutung, die der Rechtssprechung in dem sich steigernden Klassenkampf zukommt, nicht vorgenommen. Das Seelower Urteil ist ein Beispiel dafür, dass die Richter und Staatsanwälte die politischen Hintergründe der Verbrechen gegen die Produktionsgenossenschaften nicht erkennen und sich wenig für das Leben in ihrem Kreise interessieren. Sie ziehen deshalb nicht die erforderlichen Schlussfolgerungen und kommen zu groben politischen Fehlern.

Vom Kreisgericht Langensalza wurde ein Angeklagter durch Strafbefehl mit 200 DM Geldstrafe wegen Körperverletzung bestraft, weil er den Initiator der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft in Herbsleben nach einer Bauernversammlung zusammenschlug. Wie es in dem Bericht heißt, hätte der Kreisstaatanwalt trotz des Bedenkens des Richters darauf bestanden, dieses Verbrechen nur durch einen Strafbefehl abzutun.

Vom Bezirksgericht Dresden wurde ein Angeklagter, der Land aus der Bodenreform erhalten hatte, und Vorsitzender eines Ortsverbandes der Deutschen Bauernpartei war, wegen Verbrechens gegen KD 38, III A III, zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, als Belasteter eingestuft und mit den entsprechenden Sühnemaßnahmen belegt. Er äußerte in einer öffentlichen Versammlung der SED-Ortsgruppe Folgendes:

"Wir blöden Ochsen liefern immer ab, der 5-Jahrplan ist sowieso unser Todmacher, uns wenn wir jetzt noch Produktionsgenossenschaften gründen müssen, werden wir auf dem schnellsten Wege verlieren!" 

Die Zahl der gegen werktätige Bauern durchgeführter Verfahren ist höher als die gegen Großbauern. Wenn sich schon daraus ersehen lässt, dass die Richter und Staatsanwälte nicht wissen, wo der Klassengegner sitzt, so ergibt sich das in noch höherem Maße aus der Behandlung der Verfahren. Hier ist bei vielen Gerichten ein versöhnlerisches Verhalten gegenüber Großbauern und ein verschärftes Vorgehen gegen werktätige Bauern festzustellen. So wurden im Bezirk Gera im Dezember 1952 vier Verfahren gegen Großbauern und 14 Verfahren gegen werktätige Bauern, im Bezirk Neubrandenburg 13 Verfahren gegen Großbauern und 35 Verfahren gegen werktätige Bauern anhängig.

Die sich darin ausdrückende unverantwortliche Anklagepolitik der Staatsanwälte in den Bezirken und Kreisen setzt sich in den Urteilen der Gerichte fort, die ebenfalls erkennen lassen, dass die Richter nicht wissen, welche Aufgaben ihnen bei der Schaffung der Grundlagen des Sozialismus auf dem Dorfe erwachsen.

Das Kreisgericht Calbe sprach einen Großbauern frei, der erst 10 % seines Solls an Rindfleisch, 29 % seines Solls an Schweinefleisch und 15 % an Milch erfüllt hatte. Der Freispruch erfolgte, weil es an der subjektiven Seite des Tatbestandes fehlte. Damit hat das Gericht einen Feind unserer Ordnung begünstigt und zum Ausdruck gebracht, dass er nicht in der Lage war, sein Soll zu erfüllen, dass die Veranlagung alles ungerecht war.

Das Kreisgericht Meissen verurteilte einen Großbauern wegen Nichterfüllung der Ablieferungspflicht zu 1.000 DM.  

Kurzanalyse über Strafverfahren gegen Bauern in der Zeit von I.9.59 - 28.11.59 

Was haben die Bezirks- und Kreisorgane der Justiz nach dem Ministerratsbeschluss vom
29.10. getan?

In den aufgesuchten Bezirken gab es aufgrund des Ministerratsbeschlusses entsprechende Beschlüsse der Räte. An den Sonderratstagungen nahmen auch die Leiter der Bezirksjustizorgane teil. In Rostock wurde das angenommene Sofortprogramm den Justizorganen übermittelt, jedoch erfolgte die Auswertung nicht gemeinsam. Die gegebene Anleitung orientierte auch nicht überall auf eine echte Zusammenarbeit  zwischen den örtlichen Organen der Staatsmacht und den Justizorganen. In Rostock hatten die Räte der Kreise ebenfalls ein Sofortprogramm beschlossen, welches die Strafverfolgungsorgane veranlasste, ihrerseits Maßnahmepläne  zu beschließen. Diese Maßnahmepläne enthalten im Ganzen gesehen eine richtige Orientierung, führten aber noch nicht zu praktischen Ergebnissen in der Justizarbeit. Der Maßnahmeplan der Kreisorgane in Ribnitz-Damgarten orientierte allerdings nicht an erster Stelle auf die Entfaltung einer Masseninitiative, sondern propagierte als Erstes die Einschränkung des Verbrauchs an Butter und Milch.

Aus den anderen Bezirken ist der Kreis Strausberg, Frankfurt/O., hervorzuheben, wo sich die Justizorgane weitgehend vom alten Arbeitsstil gelöst haben. Jedes Verfahren wird hier unter dem Gesichtspunkt der Notwendigkeit für die politische und ökonomische Entwicklung des Kreises durchgeführt.

Haben die Mitarbeiter der Justizorgane ihre Aufgaben richtig verstanden?

Die mit den Richtern und Staatsanwälten geführten Diskussionen ergaben, dass prinzipiell Klarheit darüber besteht, dass es nicht auf eine Vielzahl von Verfahren, sondern darauf ankommt, mit dem richtigen Verfahren zur richtigen Zeit die größte Massenwirkung zu erzielen. Es besteht auch Klarheit darüber, dass nicht die Mittel des Strafprozesses, sondern die Entfaltung der Masseninitiative, die Mitarbeit der Werktätigen im Vordergrund steht. Ein Beispiel, wie "die Justizorgane versuchen, das richtige Kettenglied zu erfassen, zeigt der Fall H beim Kreisgericht Greifswald (K 1 235/59) wegen Staatsverleumdung. Hier wurde versucht, dem Hauptgegner der sozialistischen Umgestaltung in der Gemeinde, der in der Diskussion den imperialistischen westdeutschen Lübke-Plan vertrat, auszuschalten. Bereits vor Beendigung des Verfahrens wurde die Sache in der Preise und in Versammlungen ausgewertet. Zur Bildung einer LPG ist es jedoch bisher in dieser Gemeinde noch nicht gekommen.

Ein weiteres Beispiel ist das Strafverfahren gegen K. wegen Hetze (1 Bs 134/59) Bezirksgericht Neubrandenburg. K. hetzte im Gasthaus in übler Weise gegen die LPG und wurde gegen  einen Kreistagsabgeordneten tätlich. Die Gemeinde  ist politischer Schwerpunkt im Kreis Malchin. Die Staatsanwaltschaft führte vor Abschluss des Verfahrens in der Gemeinde  eine Aussprache durch. Das Bezirksgericht bereitet die Auswertung des Verfahrens mit dem Ziel vor, die Stagnation der sozialistischen Umgestaltung in der Gemeinde überwinden zu helfen.

Grundsätzlich werden Strafverfahren, die Fragen der Landwirtschaft zum Gegenstand haben, zum Anlass genommen, die sozialistische Umgestaltung zu fördern. So erklärten z. B. im Ergebnis der Auswertung der Strafsache gegen den Großbauern G. aus dem Kreis Burg, der sich der Hetze schuldig gemacht hatte, 4 werktätige Einzelbauern ihren Beitritt in die LPG. Im Kreis Lübz führte die Auswertung des VEA-Prozesses und die Entlarvung der die sozialistische Entwicklung hemmenden Großbauern zu einem Anwachsen des sozialistischen Sektors in der Landwirtschaft auf fast 70 %. 

15.13 Heimat - Freiheit und Eigentum
15. Bodenordnung
16.1 Neue Milchquotenregelung – neue Ungerechtigkeit!